Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
den Teufel gemacht.“
Diane blieb wieder einmal an diesen dunklen Augen hängen, die so lichtlos waren, wie die tiefste Höhle im Erdreich.
„Wenn der Teufel nur durch uns existiert, vielleicht haben wir ihn dann selbst gemacht“, sagte sie mit leiser Stimme. „Er ernährt sich von unseren schlechten Gedanken und schlechten Taten, und wir werden ihn nie wieder los, weil er zu uns gehört, wie unsere eigene Seele. Wir können uns noch so sehr bemühen, ihn abzuschütteln.“
Ihre Blicke trennten sich für keinen einzigen Moment. Sein Gesicht war ganz ruhig, in sich gekehrt, überlegend. Irgendetwas ging hinter diesen Augen vor sich, etwas, wovon sie ausgeschlossen blieb. Er schwieg lange, und dann beschloss er wohl, das Thema zu ändern.
„Wie geht deine Geschichte weiter, Diane?“ fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern. „Naja, als meine Mutter starb, war ich gerade zehn Jahre alt geworden. Und ich wusste bereits, was es bedeutet, für einen anderen Menschen, ein hilfloses, Baby, die Verantwortung zu tragen. Ich hatte gelernt, nicht vor meinen Problemen wegzulaufen, sondern mich ihnen zu stellen und das Beste aus meiner Situation zu machen. Damit habe ich Anna immerhin fast drei furchtbare erste Lebensjahre erspart und mich selbst von meiner Mutter distanziert. Nach Mutters Tod konnte ich die Verantwortung für Anna und dem neuen Kleinen im Haus, meinen kleinen Bruder, nicht mehr ablegen. Ich habe auf sie aufgepasst, habe kaum einmal eines der Dienstmädchen an sie herangelassen. Wahrscheinlich bin ich besonders Anna damit oft auf die Nerven gegangen, sie erinnert sich ja nicht mehr an ihre früheste Kindheit. Ich glaube, sie war oft wütend auf mich und hat mich nicht verstanden, weil ich stark dazu neigte, sie zu bevormunden, zu ihrem eigenen Besten. Aber das ist jetzt endlich vorbei, weil ich weiß, dass es Zeit ist, sie loszulassen. Sie ist nun eine junge Frau, kein Kind mehr.“
„Und dein Vater hat nie ein Wort darüber verloren, was deine Mutter dir angetan hat?“ wollte Robert wissen.
„Nein“, antwortete Diane und schüttelte entschieden den Kopf. „Er ist immer ach-so-furchtbar-besorgt um seine lieben Kinder, wenn er überhaupt mal daheim ist. Ich glaube, in seiner Besorgtheit zeigt sich nur sein schlechtes Gewissen. Aber mit mir darüber reden, das kann er nicht. Dafür ist er einfach zu schwach. Und, weißt du, da sind wir wieder bei dem alten, leidigen Thema: Vielleicht ist es gar nicht wirklich unsere Bösartigkeit, die uns den Teufel nicht mehr loswerden lässt. Vielleicht ist es einfach nur unsere Schwäche.“ „Vielleicht auch beides“, sagte er.
Diane fiel erst jetzt auf, wie dunkel es im Raum geworden war. Draußen war die Nacht hereingebrochen und das Büro wurde nur noch durch schwaches Mondlicht ein wenig erhellt.
„Ich habe das Glück gehabt, kurz nach dem Tod meiner Mutter einen Menschen kennenzulernen, der von meinem Vater charakterlich meilenweit entfernt war“, erzählte sie Robert. „Meine Tante Agnes hat gegen den Wunsch meiner Familie den Bürgerlichen Julian Werhaus geheiratet. Leider war die Ehe nur kurz, weil Onkel Julian wenige Jahre später bei einem Unfall sein Leben verlor. Aber in den paar Jahren, die ich meinen Onkel gekannt habe, habe ich mehr Zeit mit ihm verbracht, als in meinem gesamten Leben mit Vater. Und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Er war ein unkonventioneller Lebenskünstler.“
„Julian Werhaus“, sagte Robert leise.
„Du kennst ihn?“ Diane war überrascht.
„Ich habe ihn gekannt“, meinte er. „Er war in der Tat unkonventionell. Aber ein Lebenskünstler ist er nie gewesen.“
„Er hat immer Rat gewusst, egal, welche Fragen ich auf dem Herzen hatte.“
„Er hat alle möglichen Weisheiten gesammelt und anschließend großzügig an alle verteilt“, stellte Robert fest. „Aber er wusste diese Weisheiten nicht auf sein eigenes Leben anzuwenden.“
Diane richtete sich in ihrem Sessel auf, straffte ihren Rücken. In schärferem Ton als beabsichtigt entgegnete sie: „Er war kein Aufschneider, falls du das damit sagen willst!“
„Wohl nicht...“, meinte Robert zögernd.
„ Wohl nicht ?“ wiederholte sie mit schneidender Stimme.
„Diane, ich möchte deinen Onkel nicht verunglimpfen“, sagte er.
„ Tatsächlich nicht ?“ fragte sie zurück. Sie spürte, wie das Blut in ihren Kopf schoss. Ihre Wangen glühten mit einem Mal. Sie hatte den Ehemann ihrer Tante Agnes mehr geschätzt, als irgendeinen
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