Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
anderen Menschen auf der Welt. Er hatte es mit Sicherheit nicht verdient, dass man mit Geringschätzung über ihn sprach!
„Er war sich oftmals der Gefahren nicht bewusst, in die er sich begab“, erklärte Robert, ohne sich durch ihren offensichtlichen Ärger aus der Ruhe bringen zu lassen. „Er hatte die Angewohnheit, sich ständig überall einzumischen und andauernd Leuten vor den Kopf zu stoßen, ohne sich Gedanken darum zu machen, dass man ihm sein Verhalten übel nehmen könnte. Und du wirst dich sicher daran erinnern, dass man schon damals mit einiger Berechtigung angezweifelt hat, dass sein Tod wirklich auf einen Unfall zurückzuführen ist.“
Bei diesen Worten hatte Diane das Gefühl, mit einem Schlag durch die Zeit zurückgeschleudert worden zu sein und die Todesnachricht ein zweites Mal zu bekommen. Sie spürte einen plötzlichen, heftigen Stich in ihrem Inneren. Der Todestag ihres Onkels hatte für sie einen drastischen Einschnitt in ihrem Leben bedeutet. Zum ersten Mal war da ein Mensch gewesen, der sich voll und ganz ihrer angenommen, ihr Hoffnung und konkrete Ziele geschenkt hatte. Und dann war dieser Mann so plötzlich aus dem Leben gerissen worden.
Mit Erbitterung in der Stimme erklärte sie: „Onkel Julian hatte keine solchen Feinde. Das ist eine Verleumdung ! Die Kutschpferde sind völlig durchgedreht . Sie haben die umgestürzte Kutsche hinter sich her geschleift. Es war ein Unfall , ein schlimmer Unfall! “
„Mir scheint“, sagte Robert daraufhin, „dass du in dieser Sache einige Aspekte nicht sehen willst...“
Diane hob energisch das Kinn. „Und dann brauche ich also dich , einen völlig Fremden, der mir die Augen öffnet.“
Seine Antwort war sein stummer Blick, den sie in ihrer Aufregung als Provokation empfand.
Diane sprang von dem Sessel auf.
„Onkel Julian hatte keine solchen Feinde“, stellte sie voller Zorn abermals richtig. „Und er war kein Aufschneider !“
Auch Robert stand nun auf, sagte jedoch noch immer kein Wort. Seine Hand ruhte wieder an seiner verletzten Seite. Und seine Miene war versteinert. Doch seine Augen waren fest auf sie gerichtet, sie stachen in dem dämmrigen Raum aus seinem Gesicht hervor, wie zwei dunkle Spalte. Diane konnte diesen Blick physisch spüren. Ihr Körper reagierte darauf und irgendwo in ihrem Kopf wurde ein Hebel herumgelegt. Ihre Haut begann, heftig zu kribbeln.
Und dann fühlte sie, wie die Wut nach und nach aus ihr wich und ihre Augen feucht wurden.
„Verflixt“, murmelte sie verlegen. „Ich hatte gehofft, dass das nicht mehr wieder passiert.“
Er machte einen Schritt auf sie zu und verringerte so den Abstand zwischen ihnen bis auf einige wenige Zentimeter. Er berührte sie aber nicht.
Diane spürte ein heißes Kribbeln auf ihrer Haut, an ihrem gesamten Körper.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Manchmal fürchte ich, dass ein Stück von meiner Mutter auch in mir ist.“
„In Ordnung“, sagte er nur.
Sie nahm ihren Mut zusammen, hob die Arme an und berührte mit ihren Händen seine Taille.
Seine Finger schlossen sich mit festem Griff um die ihren.
„Ich...“, begann sie, brach dann aber ab, denn aus ihrem Kopf waren plötzlich alle Worte verschwunden. Die Wärme seiner Hände schien sich über ihren gesamten Körper auszubreiten.
Diane schloss die Augen und atmete tief durch. Sie sehnte sich nach seiner Nähe.
**
Ruckartig wurde sie wach, aufgeschreckt aus einem Albtraum.
Um sie herum herrschte Dämmerlicht. Die Fensterläden waren nicht geschlossen, die Sonne schickte das erste matte Licht über den Horizont, ohne selbst erschienen zu sein. Diane hob den Kopf.
Sie lag in ihrem Gästebett, und ihr war, als habe sie gerade einmal eine Stunde geschlafen. Der Abend mit ihrem Gastgeber war noch lang gewesen, der Morgen hatte erst zaghaft begonnen. In ihrem Nachthemd stieg sie aus dem Bett. Vorsichtig öffnete sie die Schlafzimmertür und lugte auf den Flur hinaus. Auch hier war niemand zu sehen, alles war ruhig und still im ersten Morgenlicht. Diane ging über den Flur. Sie spürte den kalten, glatten Parkettboden unter ihren nackten Fußsohlen.
Diesmal trat sie ohne zu klopfen in sein Büro ein. Im Raum brannte kein Licht.
Robert stand am Fenster, mit dem Rücken zu ihr. Er drehte sich nicht zu ihr um, obwohl sie recht geräuschvoll den Raum betreten hatte. Sie fuhr sich durch das zerzauste, offene Haar und versuchte, Ordnung darin zu bringen.
„Guten Morgen“, sagte sie, und als er sich
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