Wer Blut vergießt
Gibt’s dazu was?«
»Das Labor sagt, er passt zu den Fasern, die Rashid an Arnotts Mundwinkeln gefunden hat. Sie versuchen jetzt herauszufinden, wo der Schal herkam.«
Melody war während Sharas letztem Satz hereingekommen; ihre Haare waren vom Wind zerzaust, und sie war ein wenig blass im Gesicht. »Was ist mit dem Schal?«, fragte sie, während sie ihren Mantel auszog.
»Ich hab schon gedacht, du hast dich verfahren«, sagte Gemma.
»Der Verkehr«, erwiderte Melody. Gemma fiel auf, dass Melody die gleiche Entschuldigung schon für ihre Verspätung am Morgen vorgebracht hatte – und das, obwohl es Melody so ganz und gar nicht ähnlich sah, sich zu verspäten.
Gemma erklärte ihr, was es mit den Fasern und dem Schal auf sich hatte, und wandte sich dann wieder zu Shara um. »Irgendwelche Treffer bei den Fingerabdrücken? Oder bei der DNS von diesem Blutstropfen im Belvedere?«
»Noch nicht. Rashid hat die Obduktion für morgen Nachmittag angesetzt, und er hofft, bis dahin die vorläufigen Ergebnisse der Toxikologie zu haben.«
»Es sieht also so aus, als ob wir es mit einem einzigen Täter zu tun haben«, sagte Gemma langsam, »und noch immer scheint die einzige Verbindung zwischen den Opfern darin zu bestehen, dass beide Prozessanwälte waren und dass sie zuletzt in ihren Stammlokalen gesehen wurden.«
»Das ist nicht alles.« Melodys Stimme klang mechanisch. Sie setzte sich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe Andy Monahan befragt, den Gitarristen, den Arnott am Freitagabend im White Stag angebrüllt hat. Er kannte Shaun Francis von früher, aus Crystal Palace, wo er aufgewachsen ist. Aber er hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie beide Kinder waren.«
Gemma starrte sie an. »Und das hast du wann herausgefunden?«
»Jetzt gerade. Ich habe auf dem Rückweg von Kennington bei ihm reingeschaut, um mit ihm zu reden.«
»Auf dem Rückweg?« Gemma schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Melody, irgendetwas verstehe ich hier nicht ganz. Du willst mir sagen, dass Monahan am Freitagabend einen Streit mit Arnott hatte, und er kennt rein zufällig auch Shaun Francis?« Die Sache gefiel ihr ganz und gar nicht. »Das macht ihn aber doch höchst verdächtig.«
»Tut es nicht«, protestierte Melody. »Wir wissen dank der Überwachungskamera, dass sein Manager ihn unmittelbar nach dem Auftritt am Freitagabend abgeholt hat, und wir haben die Aussage des Managers, die du selbst als glaubwürdig bezeichnet hast, wonach er ihn ins Zentrum zurückgefahren hat. Er kann nichts mit Arnotts Tod zu tun haben. Und wenn Rashid hinsichtlich des Zeitpunkts von Francis’ Tod richtigliegt, kann er auch mit diesem Mord nichts zu tun haben.«
»Warum nicht? Willst du mir etwa sagen, dass er ein solides Alibi hat?«
Melody erwiderte ihren Blick. »Ja. Mich.«
»Shara, gehen Sie nach Hause«, sagte Gemma.
Shara beäugte Melody mit hochgezogenen Augenbrauen, doch sie sagte nur: »In Ordnung, Ma’am. Wenn Sie meinen. Kein Problem, dann mache ich die Protokolle eben morgen früh fertig.« Sie raffte ihre Sachen zusammen und ging, nachdem sie sich noch einmal kopfschüttelnd zu Melody umgedreht hatte.
Gemma sah Melody an. »Ich finde, du schuldest mir eine Erklärung.«
»Ich bin gestern Abend zu Andy gefahren, um mit ihm zu sprechen. Vorher hatte ich vergeblich versucht, die beiden anderen Jungs von der Band zu erreichen, und dann fiel mir ein, dass ich Caleb Hart gar kein Foto von Arnott gezeigt hatte, als ich im Aufnahmestudio war, also dachte ich mir, ich frage Andy mal, was er von Caleb hält.«
»Und das erzählst du mir erst jetzt?«
»Ich – äh, es war so viel los heute, da war es mir irgendwie entfallen.«
Gemma versuchte sich zu erinnern, wann sie Melody zuletzt so verlegen und unsicher erlebt hatte. Obwohl Melody sich gegenüber Kollegen und Vorgesetzten alle Mühe gab, ihren Familienhintergrund und ihre akademische Bildung herunterzuspielen, und obwohl sie sogar ganz bewusst einen Beruf gewählt hatte, in dem diese Dinge ihr zum Nachteil gereichten, verlieh ihre Herkunft ihr ein natürliches Selbstbewusstsein, um das Gemma sie bisweilen beneidete. Und jetzt stammelte sie vor sich hin wie eine nervöse Zeugin. »Zurück zu gestern Abend«, sagte Gemma. »Du hast also Andy aufgesucht. Wann war das?«
»Es muss so gegen sechs gewesen sein. Lange, bevor Shaun Francis im Prince of Wales gesehen wurde. Andy wollte gerade zu einem Gig im 12 Bar in der Denmark Street aufbrechen – das ist ein
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