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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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sehr überzeugend wirkte, antwortete Melody: »Doch, ja. Wobei ich normalerweise auch nicht mit Typen ins Bett gehe, die ich nicht mag. Aber er – Das ist etwas anderes. Und ich glaube – Ich glaube, ich habe eine Riesendummheit gemacht.«
    Gemma musste unwillkürlich an eine ganz bestimmte junge Kriminalbeamtin denken, die höchst unklugerweise mit ihrem Chef im Bett gelandet war, und sie unterdrückte ein Lächeln. »Du bist die Erste nicht«, sagte sie. Sie hoffte nur, dass Melody nicht die Konsequenzen zu spüren bekäme.
    Andy versteckte Nadines Geschenke, die Stratocaster und den kleinen Übungsverstärker, vor seiner Mutter. Er wusste, dass es sie wütend machen würde zu erfahren, dass Nadine ihm etwas geschenkt hatte, und die Tatsache, dass es sich um eine Gitarre handelte, würde es nur noch schlimmer machen. Seine Mutter setzte nie einen Fuß in sein Zimmer, und er erledigte den gesamten Haushalt, also schob er die Gitarre unter sein Bett und nahm sie nur heraus, wenn sie in der Arbeit war.
    Aber in diesen kostbaren Stunden nahm die rote Gitarre ihn ganz und gar gefangen. Sie lag in seinen Händen und schmiegte sich an seinen Körper wie ein lebendes Wesen. Er lernte durch Versuch und Irrtum, spielte an den Tonabnehmern herum, ließ die Finger über die Bundstäbchen gleiten und verzog die Saiten, um Klänge hervorzubringen, die er nie für möglich gehalten hätte. Die alte Höfner verstaubte in der Ecke.
    Jetzt verließ er das Haus nur noch, um seine Mutter zur Arbeit und zurück zu begleiten und die notwendigen Einkäufe zu erledigen. Er ging nicht mehr in die Bücherei, und er wartete auch nicht mehr am späten Nachmittag vor dem Haus auf Nadine, denn die paar Male, als er es tat, musste er ständig zum oberen Ende der Straße schielen, ob dort nicht wieder die wohlbekannten Gestalten auftauchten.
    Aber am Abend, wenn die Hitze im Haus am größten war und seine Finger schon so wehtaten, dass er nicht weiterspielen konnte, ging er hinaus und setzte sich auf die Stufen. Manchmal traf er sie dort an, aber irgendetwas schien sich zwischen ihnen verändert zu haben, auch wenn er nicht wusste, was es war und woran es lag. Sie wirkte abwesend, und sie strahlte eine Traurigkeit aus, die ihn hilflos zurückließ.
    Eines Abends, als er sich erboten hatte, für sie beide Tee zu machen, sagte sie: »Du hast viel geübt. Ich kann dich durch die Wände hören.«
    »Oh, tut mir leid. Ich versuche, den Ton nicht zu laut zu drehen. Ich wollte Sie nicht …«
    »Nein, nein, das ist schon in Ordnung. Es stört mich nicht. Ich wollte nur sagen, ich kann hören, dass du immer besser wirst. Das ist gut.«
    Das Lob ließ ihn erröten. Sie saßen beisammen, und die Stimmung war so entspannt, wie er es lange nicht empfunden hatte, während sie ihren Tee tranken und zusahen, wie sich der Himmel über den Dächern von Zartlila zu Dunkelviolett verfärbte. Die ferne Stadt, die sie durch die Lücke am unteren Ende der Straße sehen konnten, begann zu glitzern. Für Andy schien sie so weit weg wie der Mond, und ebenso unerreichbar.
    »Du kannst alles haben, weißt du das?«, sagte Nadine. Er sah sie verblüfft an und fragte sich, ob sie seine Gedanken gelesen hatte. »London. Die Welt. Was immer du willst. Du bist klug, und du hast Talent. Deine Grenzen sind nicht die Grenzen der Verhältnisse, in denen du lebst. Oder die von Crystal Palace.« Sie schlang die Arme um ihre nackten Beine und legte das Kinn auf die Knie. Sie trug eine alte gekürzte Jeans und ein Männerhemd. Ihr Haar sah ungekämmt aus, und ihm fiel auf, dass er sie in letzter Zeit nur noch ohne Make-up gesehen hatte.
    »Aber meine Mum – Sie würde nicht allein …« Er konnte sich nicht vorstellen, dass einmal ein Tag kommen würde, an dem seine Mutter ohne ihn zurechtkam, und genauso wenig konnte er sich ein Leben vorstellen, das anders war als alles, was er je gekannt hatte.
    »Du tust, was du kannst, solange es sein muss. Aber es wird Veränderungen geben. Das verspreche ich dir.«
    Etwas an der Art und Weise, wie sie es sagte, machte ihm Angst, und er merkte plötzlich, dass er gar nicht wollte, dass sich irgendetwas veränderte, weder jetzt noch später. Er wollte weiter in seinem Zimmer auf seiner Gitarre spielen, seiner Mutter das Frühstück machen, mit Nadine auf den Eingangsstufen Tee trinken. Und er wollte nicht, dass sie sich anhörte wie eine vollkommen Fremde.
    »Nadine …« Er zögerte. Er hatte sie nie bei ihrem Namen genannt, und er hatte sie

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