Wer Blut vergießt
hatte, was sie mit der Bemerkung über MacKenzie meinte.
Er würde Gemma die gute Nachricht überbringen, sobald sie zu Hause wären, aber zuerst musste er mit Louise sprechen und sich vergewissern, dass sie vorläufig die Gebühren aus Charlottes Erbe bestreiten konnten, bis der Verkauf des Hauses in der Fournier Street abgeschlossen war.
Vielleicht, dachte er, als er an sein Versprechen Tam gegenüber dachte, könnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Am Abend hatte Kincaid ausgemacht, dass Charlotte den Nachmittag bei Betty Howard verbringen würde, und nun setzte er die Kleine bei der Freundin der Familie ab und fuhr allein nach Bethnal Green. Louise hatte gerade geruht, als er bei ihr klingelte, und als sie ihn ins Wohnzimmer bat, dachte er, dass sie schon ein wenig besser aussah als am Samstag.
Als er die Sache mit der Schule erklärte, lachte sie, und ihm wurde bewusst, was für ein seltenes Ereignis das bei Louise war. »Dich kann man ja wirklich schicken«, sagte sie. »Und ja, das dürfte kein Problem sein. Ich finde es eigentlich ganz angemessen für eine private Schule, zumal in Notting Hill. Und wenn Charlotte mit der Ganztagsbetreuung klarkommt, wird euch das wesentlich günstiger kommen, als wenn ihr halbtags ein Kindermädchen bezahlen müsstet. Allerdings«, fügte sie wieder mit ihrer gewohnt bissigen Art hinzu, »habe ich den Eindruck, dass diese Schule gerade dadurch elitär ist, dass sie vorgibt, es nicht zu sein.«
»Wie fühlst du dich so?«, fragte er.
»Den Umständen entsprechend nicht schlecht. Und das ist wohl eine gute Sache. Aber ich freue mich für dich. Sieht aus, als ob wenigstens einer von uns demnächst wieder arbeiten gehen kann.«
Sie bot ihm Kaffee an, doch er lehnte ab mit der Begründung, dass er noch mit Tam sprechen müsse und sie nicht überanstrengen wolle. Beides war durchaus richtig, und es ersparte ihm, zugeben zu müssen, dass in ihrer Wohnung Treibhaustemperaturen herrschten und ihr Kaffee ihn mit Sicherheit umhauen würde.
Als er nach nebenan ging, war Michael gerade mit den Hunden draußen. Tam schritt nervös im Zimmer auf und ab. »Er hat gesagt, dass er kommt, allerdings musste ich ihm erst die Hölle heiß machen. Er ist immer so ein zuverlässiger Junge gewesen, unser Andy. Das ist einer der Gründe, warum ich Caleb überredet habe, es mit ihm zu versuchen. Und jetzt führt er sich auf wie eine Primadonna. Ich weiß gar nicht, was in ihn gefahren ist. Von seinen plötzlichen Zweifeln an dem Plattenprojekt mit der kleinen Poppy hab ich Caleb noch gar nichts gesagt.«
Ehe Kincaid etwas erwidern konnte, hörte er ein leichtes Klopfen an der Tür. Er öffnete und erblickte Andy Monahan, der ihn finster anstarrte. »Tam hat gesagt, Sie wollten mich sprechen.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, entgegnete Kincaid beiläufig. Er fand, dass Andy erschöpft aussah; die Ringe unter seinen Augen waren dunkel wie Blutergüsse. »Möchten Sie reinkommen?«
Andy warf Tam einen verärgerten Blick zu. »Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber draußen sitzen. Nur Sie und ich.«
Es war ein grauer, feuchter Tag, und ein kühler Wind wehte, doch Kincaid wollte nicht lange diskutieren. Mit einem beschwichtigenden Blick in Tams Richtung trat er vor die Tür. Zwei Stühle standen an beiden Enden des kleinen Balkons, einer vor Tams und Michaels Wohnung und einer vor der von Louise. Kincaid beschloss, sie nicht zusammenzurücken, weil das seinem Gefühl nach eine zu förmliche Atmosphäre schaffen würde. Stattdessen ging er voran durch das Törchen am Treppenabsatz und setzte sich auf die oberste Stufe.
Mit unübersehbarem Widerwillen hockte Andy sich neben ihn, eingehüllt in seinen Marinemantel wie in einen Kokon. Und doch war es Andy, der als Erster sprach. »Ich hatte echt keine Ahnung, dass Charlottes Mutter bei der Polizei ist. Sie beide wechseln sich wohl ab, oder wie?«
»Ich bin einzig und allein hier, weil Tam mich gebeten hat, mit Ihnen zu sprechen. Er macht sich Sorgen um Sie. Aber wenn Sie mir irgendetwas sagen, was für diese Fälle relevant ist, dann ist Ihnen sicher klar, dass ich es an Gemma weitergeben muss.«
»Also nichts mit Beichtgeheimnis, hm?«, fragte Andy spöttisch.
»Mir scheint, Sie können etwas Hilfe gebrauchen. Ich habe den Eindruck, dass Sie seit Tagen nicht mehr geschlafen oder gegessen haben.«
Andy rieb sich die verblassten Blutergüsse an den Knöcheln der rechten Hand. »Nicht viel seit Montag, weder das eine
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