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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Frauen, die in den Shows im nahen West End auftraten und in der Pause zwischen Nachmittags- und Abendvorstellung vorbeikamen. Doch je weiter der Nachmittag vorrückte, desto angespannter fühlte sie sich, wie ein Gummiband kurz vor dem Reißen. Inzwischen gab ihr schon der flüchtige Blick eines Passanten durch das dunkle Schaufenster das Gefühl, allem schutzlos ausgeliefert zu sein, und ihre Knie waren plötzlich weich wie Pudding.
    Sie trat vom Fenster zurück, tastete nach einer festen Wand und lehnte sich dagegen, am ganzen Leib zitternd. Die Erinnerungen, die sie den ganzen Tag über auf Abstand gehalten hatte, überfielen sie jetzt mit solcher Wucht, dass ihr der Atem stockte und sie sich schützend die Arme um den Bauch schlang.
    Warum war sie nach Crystal Palace zurückgekehrt, obwohl doch alles in ihr geschrien hatte, dass es ein Fehler war? Sie hatte geglaubt, sich endlich der Vergangenheit stellen zu können, doch sie hätte nie damit gerechnet, ihn zu sehen. Sie hatte ihn sofort erkannt, als ob fünfzehn Jahre sich in einem Augenblick in nichts aufgelöst hätten. Dann hatte er sich umgedreht, sein Blick war über sie hinweggeglitten, und nichts in seinen Augen hatte darauf hingedeutet, dass auch er sie wiedererkannte.
    Auch an dem Tag, als er so beiläufig ihr Leben in Stücke riss, hatte er sie nie wirklich angeschaut – das wurde ihr jetzt bewusst. Hatte er über seine Golfpartie nachgedacht? Über seine nächste Eroberung? Über den Gefallen, den er einem seiner Kumpels tat?
    Starr vor Entsetzen, die Finger um den Stiel ihres Weinglases gekrampft, hatte sie zugesehen, wie er ein Mädchen von Anfang zwanzig mit blondierten Haaren und einer kleinen Speckrolle zwischen T-Shirt und Jeans anbaggerte und sich offensichtlich Chancen ausrechnete, bis das Mädchen auf der Toilette verschwand.
    Als es nicht mehr zurückkam, wurde seine Miene immer finsterer. Dann hatte ein Tumult auf der kleinen Bühne, wo die Band spielte, seine Aufmerksamkeit erregt. Er hatte sein Glas auf den Tresen geknallt und sich durch den Pulk der Gäste geschoben, bis er die Bühne erreichte. Er rief etwas, das sie nicht verstehen konnte, doch sie konnte sehen, dass weder das Objekt seiner Schimpfkanonade noch seine eigenen Worte ihm irgendetwas bedeuteten; auf diese Weise reagierte er lediglich die Wut über den Korb ab, den er von dem Mädchen bekommen hatte.
    So, wie auch sie ihm nichts bedeutet hatte, an jenem Tag vor so langer Zeit.
    Der Zorn war in diesem Moment in ihr aufgewallt, kalt und scharf und hart wie ein Diamant, und sie hatte sich instinktiv in Bewegung gesetzt, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. Sie trat von hinten an ihn heran, als er an den Tresen zurückkehrte, rempelte ihn an und verschüttete etwas Wein auf seine Hose, um dann unter hektisch hervorgebrachten Entschuldigungen an dem Fleck herumzuwischen – alte Tricks, die sie in Paris gelernt hatte und wie im Schlaf abspulen konnte.
    Und er hatte den Köder geschluckt. Oh, das hatte er. Sie hatte sich nicht an seinen Namen erinnert. Als er sagte: »Sag John zu mir«, musste sie sich zusammennehmen, um nicht laut loszuprusten. Wie passend. Wie verdammt passend.
    Und so hatte sie geflirtet, hatte sich von ihm zu einem Drink einladen lassen und sich überlegt, dass sie ihn gewähren lassen würde, bis er sich sicher war, dass er eine Eroberung gemacht hatte. Dann würde sie die alte Ausrede benutzen, dass sie sich nur eben die Nase pudern müsse, und verschwinden, ihn einfach auf dem Trockenen sitzen lassen. Ihre kleine Schmierenkomödie hatte sie von der anderen Versuchung abgelenkt, von der sie wusste, dass sie ihr nicht nachgeben durfte. Nicht an diesem Abend, nicht jetzt, in seiner Gegenwart.
    Aber als er ihr dann ins Ohr geflüstert hatte, er kenne da ein nettes kleines Hotel, da hatte sie schon ein Glas Wein zu viel gehabt, und das Adrenalin in ihren Adern machte sie leichtsinnig. Und so spielte sie das Spielchen weiter und dachte sich, dass sie ihm erst in allerletzter Minute die Wahrheit sagen würde. Auf dem Trockenen sitzen lassen war gar kein Ausdruck für das, was sie mit ihm machen würde.
    Durch den Nebel war sie mit ihm zu dem schäbigen Hotel gegangen, hatte im Dunkeln gewartet, bis er sie zur Hintertür hereinließ, wie eine ordinäre Hure. Und als sie dann im Zimmer waren und er ihr sagte, was er wollte, hatte sie auch mitgespielt, in dem Wissen, dass er eine Demütigung vorgeschlagen hatte, die vollkommener war als alles,

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