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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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traumwandlerischen Sicherheit, dass es ihr den Atem raubte. Als sie ihm zuhörte und zusah, kam es ihr vor, als ob sie ihn kannte, wie sie noch nie einen anderen Menschen gekannt hatte. Und als er nach dem Ende des Sets zu ihr herunterkam, wusste sie, dass sich zwischen ihnen etwas Entscheidendes verändert hatte.
    Lange Zeit blieb sie vor dem Club stehen. Sie verstand es, sich unsichtbar zu machen, im hin und her wogenden Strom der Passanten unterzutauchen. Sie war einfach nur eine Frau, die mit hochgeschlagenem Kragen vor den Schaufenstern stand und wie gebannt auf Dinge starrte, die sie nicht hätte benennen können.
    Sie sah zu, wie die Gäste eintrafen, einzeln und in Paaren, dann auch in Gruppen von drei oder vier.An Sonntagabenden ging es naturgemäß etwas ruhiger zu, doch hierher kamen viele Stammgäste, und die Leute sahen aus, als ob sie wegen der Musik und nicht wegen der Drinks da wären.
    Die Musik setzte ein, zu leise, als dass man sie hätte identifizieren können, aber laut genug, um den Rhythmus ins Blut dringen zu lassen, ein Kontrapunkt zu ihrem Herzschlag. Endlich, als sie fand, dass der Schutz der Menge ausreichend war, ging sie hinein und bezahlte bei dem jungen Mann an der Kasse ihren Eintritt. Er sah sie an, wie Männer Frauen eben ansehen, und als er ihre Hand stempelte, ließ er seine Finger einen Augenblick zu lange auf ihrem Handgelenk ruhen.
    Sie schenkte ihm ihr unpersönlichstes Lächeln, als sie ihre Hand zurückzog. »Danke«, sagte sie. »Gute Show heute Abend?«
    »Zwei Jungs mit akustischem Programm. Erste Sahne. Die Bar ist da links, falls Sie was trinken möchten. Die Musik gibt’s unten.« Sie erinnerte sich an den winzigen Kellerraum, nachdem sie vor Jahren schon einmal hier gewesen war.
    Sie nickte und ging durch den schmalen ebenerdigen Raum zur Bar, wo sie sich einen Drink bestellte, den sie gar nicht wollte. Es würde merkwürdig aussehen, mit leeren Händen dazustehen. Hinterher konnte sie sich nicht mehr erinnern, was sie bestellt hatte, nur, dass es bitter geschmeckt hatte.
    Die Musik empfing sie, als sie die Treppe hinunterstieg. Auf halbem Weg hielt sie inne, ihre Kehle wie zugeschnürt, und sie klammerte sich am Geländer fest, bis jemand von hinten gegen sie stieß. »Sorry, sorry«, murmelte sie und zwang sich, die letzten paar Stufen hinunterzugehen.
    Der kleine Kellerraum war so schmuddelig, wie sie ihn in Erinnerung hatte, und voll mit Menschen, die dicht gedrängt standen und zu der winzigen, brusthohen Bühne hinaufstarrten.
    Heute Abend spielte er eine Akustikgitarre, und sie wusste nicht, ob das besser oder schlimmer war als der Anblick der roten Strat, als sie ihn im White Stag gesehen hatte.
    Seine Haare waren dunkler als früher, aber jetzt blitzten im Scheinwerferlicht auch ein paar der blonden Strähnchen auf. Und er spielte immer noch mit der gleichen intensiven Konzentration, als ob nichts auf der Welt existierte außer ihm und seiner Gitarre. Sie sah diesen Ausdruck in ihren Träumen, auch heute noch.
    Die Melodien erklangen und verhallten, manche vertraut, andere neu. Er baute darauf Variationen auf, seine Finger flogen über die Saiten und die Bünde, und das Publikum lauschte gebannt, in andächtigem Schweigen.
    Stolz wallte in ihr auf, doch dann erinnerte sie sich daran, dass er nicht ihr zu verdanken hatte, was aus ihm geworden war. Aber sie konnte sich entschuldigen, und auch wenn beim ersten Mal der Mut sie verlassen hatte, war sie entschlossen, dass es diesmal nicht so sein würde.
    Das Set war zu Ende. Er nickte und ließ kurz ein Lächeln sehen, als der Applaus aufbrandete, dann stellte er die Gitarre auf ihren Ständer und sprang leichtfüßig die Stufen von der Bühne hinunter.
    Sie holte noch einmal Luft und trat dann einen Schritt vor. Und er ging direkt an ihr vorbei, schob sich durch die Menge, bis er bei einer dunkelhaarigen jungen Frau ankam, die auf einem der wenigen Barhocker an der Rückwand des Raums saß. Die Frau war hübsch, ihre blasse Haut von der Hitze gerötet, oder vielleicht vor Aufregung. Er berührte sie nicht, doch er beugte sich nahe zu ihr herab und sagte ihr etwas ins Ohr. Die Frau lachte, und sie sah förmlich die Funken zwischen den beiden sprühen.
    O Gott. Sie wandte sich ab und kämpfte sich zur Treppe durch. Was für eine Närrin war sie doch gewesen. Was hatte sie ihm denn sagen wollen? Hätte er sie überhaupt anhören wollen? Hätte es irgendetwas an dem ändern können, was vor Jahren geschehen war? Am

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