Wer Blut vergießt
georgianischen Fassade aus roten Ziegeln, wo selbst jetzt im Januar in den Blumenkästen über der leuchtend blauen Markise eine üppige Blütenpracht prangte. An den Tischen auf der kleinen Terrasse saßen noch einige Gäste, die der Kälte trotzten, und genossen ihre Mittagspause.
Melody malte sich aus, wie sie mit Andy auf einen gemütlichen Drink hierherkäme, und verbannte den Gedanken sofort wieder, als sie merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Woher wollte sie wissen, ob er sie überhaupt wiedersehen wollte, geschweige denn mit ihr ausgehen?
Sie betrat das Pub und schlängelte sich zum Tresen durch.
»Was darf’s denn sein?«, fragte der Barmann, als es ihr gelang, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Auf ein Wort.« Sie zeigte ihm ihren Dienstausweis.
Seine Augen weiteten sich. »Hat das etwas mit dem ganzen Auflauf da drüben auf der anderen Seite des Platzes zu tun? Ich hab mich schon gefragt, was da los ist.« Er war jung, freundlich und attraktiv, und nach dem anerkennenden Blick zu urteilen, mit dem er Melody musterte, durchaus nicht blind für ihre Reize. Umso besser, dachte sie und lächelte.
»Stimmt. Ich habe einige Fragen zu gestern Abend, und zu einem Ihrer Gäste. Ein Stammgast, wenn ich mich nicht irre – Shaun Francis.«
»Shaun? Doch, der ist allerdings ein Stammgast. Isst – und trinkt – fast jeden Abend hier.« Er sah zum Fenster hinaus zu den Polizeifahrzeugen auf der anderen Seite des Platzes. »Er wohnt gleich da drüben. Weiß nicht genau, in welchem Haus. Ist ihm etwas zugestoßen?«
Melody wich der Frage aus. »War er gestern Abend hier?«
Der Barmann zog die Stirn in Falten, während er ein Glas abtrocknete. »Doch. Zumindest am frühen Abend. Er hat etwas gegessen – einen Salat mit Räuchermakrele, glaube ich. Und dazu einen Gin Tonic. Er sagte, er wolle ein bisschen abnehmen, deswegen hat er auf Bier und Pommes verzichtet.«
»So macht’s aber doch keinen rechten Spaß, würde ich sagen.«
Er sah ihr in die Augen. »Ich wette, Sie können so viel Bier trinken und Pommes essen, wie Sie wollen.« Er hatte offenbar jede Menge Flirterfahrung.
»Um auf Shaun Francis zurückzukommen«, sagte Melody rasch, »wollen Sie damit sagen, dass er gestern Abend nicht lange geblieben ist?«
»Nein – nur, dass ich ihn halt dieses eine Mal bedient habe. Es war gerammelt voll hier gestern Abend. Wir haben zu dritt an der Bar bedient. Und nachdem es zu regnen aufgehört hatte, waren auch draußen alle Tische besetzt.«
»Als Sie ihm das Essen und den Gin Tonic servierten, wie spät war es da?«
»Halb acht vielleicht. Wieso wollen Sie das alles …«
»War jemand bei ihm?«
Der Barmann überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Gab es jemanden, mit dem er sich regelmäßig unterhalten hat? Irgendwelche Freunde, mit denen er sich hier traf?«
Der Barmann zuckte mit den Achseln und sagte: »Na ja, Anwälte eben. Wir haben hier jede Menge Juristen und Parlamentsabgeordnete, und auch ab und zu ein paar Schauspieler oder Medienleute. Die meisten Anwälte scheinen sich untereinander zu kennen. Aber …« Er hielt inne, schüttelte mit einer raschen Handbewegung sein Geschirrtuch aus und fuhr fort: »Shaun hört sich gerne reden. Meistens findet er ein Opfer, dem er imponieren kann, aber mir ist noch nicht aufgefallen, dass irgendjemand freiwillig auf ihn zugeht.« Er verzog das Gesicht. »Autsch – das klingt jetzt ein bisschen hart. Wahrscheinlich sollte ich so was nicht sagen.«
»Sagen Sie’s mir trotzdem. Sie können sich ja damit rausreden, dass Sie von der Polizei genötigt wurden.« Melody stützte sich mit den Ellbogen auf den Tresen und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Mit Handschellen und allem Drum und Dran?«
Wenn du wüsstest, dachte Melody, doch sie sagte nur: »Na los, keine Scheu.«
»Es ist nur so, dass das Personal hier gelernt hat, an ruhigen Abenden einen großen Bogen um Shaun zu machen. Niemand will sich einen stundenlangen Monolog über irgendeinen hochwichtigen Prozess anhören, den er gerade geführt hat, oder über irgendeine neue technische Spielerei, die er sich für seine Wohnung gekauft hat.« Er blickte sich um, vergewisserte sich, dass die Gäste zu beiden Seiten in ihre eigenen Gespräche vertieft waren, und fügte dann etwas leiser hinzu: »Um ehrlich zu sein, Shaun ist ein ziemliches Ekel.«
Im gleichen Moment, als Gemma sich zu dem Wagen umblickte, in dem
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