Wer Böses Tut
frage mich die ganze Zeit, warum ich nie kapiert habe, was mit ihr los ist. Ich komme mir vor wie eine Idiotin.« Sie betrachtete den Wein in ihrem Glas, hielt es einen Moment lang gegen das Licht der Kerze und bewunderte die Farbe. Beinahe so dunkel wie die Rosen. »Und ich bekomme langsam das Gefühl, dass ich Rachel überhaupt nicht gekannt habe.«
»Wenn sie Ihnen schon ein Rätsel ist, dann mir erst recht«, sagte er mit einem abwesenden Blick, den sie nicht deuten konnte.
Sie musterte ihn neugierig und überlegte, warum er so fasziniert von ihr war. Vielleicht vertieften Kriminalbeamte sich immer so in ihre Fälle, identifizierten sich mit den Opfern, aber sie
spürte, dass mehr dahintersteckte. Auch er war Rachels Zauber verfallen. Was sollte sie da sagen?
»Rachel war vielen Menschen ein Rätsel, Inspector. Das gehörte zu ihren Hauptattraktionen.«
»Erzählen Sie mir von dem Mann, den Sie gesehen haben«, sagte er abrupt, als wollte er das Thema wechseln. »Versuchen Sie, ihn mir zu beschreiben. Es ist sehr wichtig, dass wir ihn finden.«
Liz seufzte. »Ich sehe ihn vor mir, aber das Phantombild hat ihn nicht richtig getroffen oder wenigstens nicht so, wie ich ihn in Erinnerung habe.«
»Aber Sie haben den Mann nie zuvor gesehen?«
»Mit Sicherheit nicht«, sagte sie fest. Dachte er wieder, sie würde etwas verschweigen?
Er machte ein nachdenkliches Gesicht, dann nickte er, als akzeptiere er, was sie sagte. »Gut. Versuchen wir etwas anderes. Schließen Sie die Augen. Denken Sie an den Moment, als Sie den Mann das erste Mal gesehen haben, und sagen Sie mir, was Sie sehen.«
Sie glaubte nicht, dass das etwas bringen würde, aber ihm zuliebe schloss sie die Augen. Sie blendete die Musik und die Hintergrundgeräusche im Restaurant aus und versetzte sich in die dunkle, feuchte Kälte des Waldes, die Ruhe, den Geruch nach Erde und Laub. Sie stellte sich die Bank vor, auf der sie gesessen und geraucht hatte; das Dach aus Stechpalmenästen über sich.
»Sehen Sie ihn?«, fragte Tartaglia leise.
Im Geiste hörte sie das Kreischen der Krähen. »Ja. Er läuft auf mich zu. Aber es wird schon dunkel, und bis jetzt sehe ich ihn nur verschwommen. Bevor er bei mir ist, bleibt er am Zaun stehen.«
»Was tut er?«
»Ich weiß nicht genau.«
»Sucht er nach einem Eingang?«
»Kann sein. Er geht einen Augenblick lang auf und ab.«
»Dann ist er sich nicht ganz sicher, wo er hineinkommt.«
»Ja.«
»Beschreiben Sie ihn. Wie sieht er aus, wie bewegt er sich?«
»Athletisch. Er hat dunkle, weite Sachen an und einen Anorak oder eine Fleecejacke mit Kapuze. Ich bin ungefähr dreißig Meter entfernt. Er ist groß …«
»Größer als ich? Ich bin einszweiundachtzig.«
Sie öffnete die Augen, sah ihn an und versuchte, die beiden zu vergleichen. Tartaglia war ein paar Zentimeter größer als sie; der Mann im Park war größer gewesen, kräftiger, so war es ihr jedenfalls vorgekommen. Auf einmal war sie verwirrt, traute ihrer Erinnerung nicht. »Ich weiß es nicht. Schwer zu sagen bei der Entfernung. Ich hatte den Eindruck, dass er groß ist, auf jeden Fall größer als ich. Das ist alles, was ich sagen kann.«
»Was hat er als Nächstes getan?«
Sie kniff die Augen zu, zwang sich, daran zu denken, und wünschte, sie könnte sich besser erinnern. »Er schaut sich um, als wollte er sich vergewissern, dass niemand in der Nähe ist. Sein Verhalten hat mich nervös gemacht, als hätte er nichts Gutes im Sinn oder so. Danach habe ich mich nicht mehr gerührt.«
»Aber er sieht Sie nicht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wie ich schon sagte, das Licht war schlecht. Ich saß auf dieser Bank unter einer Stechpalme.«
»Hat er irgendwann in Ihre Richtung geschaut?«
»Ja. Kurz.«
»Bleiben Sie bei dem Bild und erzählen Sie mir, was Sie sehen. Versuchen Sie, das Bild im Kopf festzuhalten.«
»Gut.« Mit gerunzelter Stirn bemühte sie sich, das Bild zurückzuholen.
»Ich glaube, er schaut zuerst in die andere Richtung. Ja. Dann dreht er sich in meine Richtung. Ich sehe ganz kurz sein Gesicht. Er ist weiß, irgendwas zwischen zwanzig und vierzig. Mehr kann ich nicht sagen. Er hat diese Kapuze über dem Kopf, sodass ich seine Haare oder die Stirn nicht sehen kann. Seine Züge sind überhaupt nicht auffallend.« Sie versuchte vergeblich, ein schärferes Bild von ihm heraufzubeschwören. Frustriert öffnete sie die Augen und griff nach ihrem Glas. »Es tut mir leid. Ich bin eine lausige Zeugin, nicht wahr?«
»Sie waren
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