Wer Böses Tut
immer um Wein machen.«
Auf einmal war sein Gesicht nachdenklich, als wäre er mit den Gedanken woanders.
»Was ist los?«, fragte sie. »Sie denken doch nicht immer noch über die Geschichte im Park nach, oder?«
»Nein, nein. Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass Sie nicht besonders italienisch aussehen.«
Sie lächelte erleichtert, weil sie über etwas anderes als Rachel sprechen konnte. »Ich bin Halbitalienerin. Meine Mutter
ist Engländerin. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich noch klein war, und ich bin hier groß geworden. Mein Italienisch ist lausig.«
»Sehen Sie Ihren Vater noch?«
»Ab und zu, wenn ich nach Italien fahre und meine Familie besuche. Er hat ein Restaurant in Siena. Was ist mit Ihnen? Sie sehen schon ziemlich italienisch aus.«
»Vierte Generation, die übliche Geschichte. Mein Urgroßvater kam in den Neunzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts aus einem kleinen Dorf in den Abruzzen nach Schottland. Irgendwann landete er in Edinburgh, und dort lebt unsere Familie bis heute, bis auf meine Schwester und mich.«
»Ist sie auch bei der Polizei?«
»Himmel, nein«, antwortete er und verschluckte sich fast an seinem Wein. »Was für ein Gedanke. Nicoletta könnte sich niemals in einen derart reglementierten und erfolgsorientierten Betrieb wie die Londoner Polizei einfügen. Modernes Firmenmanagement hat keinen Platz für Querdenker, und sie ist eine echte Querdenkerin, sowohl im guten als auch im schlechten Sinn. Sie lehrt Italienisch an der London University, und in ihrer Freizeit versorgt sie einen Ehemann und zwei Kinder.«
»Sieht sie Ihnen ähnlich?«
»Angeblich. Ich finde allerdings, sie sieht viel mehr aus wie Ronni Ancona ohne die ganze Schminke und das Zeug, und ich mit Sicherheit nicht.«
»Nein, das stimmt.« Er wirkte so normal und nett, aber in was für einer fremden Welt bewegte er sich, in der es täglich um Gewaltverbrechen ging? Es war Lichtjahre entfernt von allem, was sie tat, und italienisches Blut war wahrscheinlich das Einzige, was sie gemeinsam hatten. »Und Sie? Haben Sie eine Familie, meine ich?«
»Nein. Ich bin nicht verheiratet und war auch noch nie in Versuchung.
Das ist ein wunder Punkt,jedenfalls für meine Mutter und meine Schwester. Nur weil ich Ende dreißig bin und allein lebe, glauben sie, dass mit mir etwas nicht stimmt.«
Liz lachte. »Das klingt genau wie meine Mutter. Sie ist auch so verdammt voreingenommen, als hätte sie eine unbefleckte Akte. Im Moment ist sie bei ihrer dritten Ehe. Das ist doch abschreckend genug. Wäre es nicht nett, wenn sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und mich in Ruhe lassen würden?«
»Ach ja«, sagte er wehmütig.
»Natürlich mache ich jede Menge dumme Fehler, aber es sind wenigstens meine. Und vielleicht lerne ich es ja eines Tages. Vielleicht werde ich es ja irgendwann richtig machen.«
Er lächelte, und Lachfältchen bildeten sich um seine dunklen Augen. Zum ersten Mal an diesem Abend sah er richtig entspannt aus. »Ich habe auch ein paar ziemlich verrückte Sachen gemacht«, sagte er. »Richtig dumm. Aber wenn man kein Risiko eingeht, erreicht man auch nichts, und das Leben bleibt langweilig. Ich mag es einfach nicht, wenn meine Schwester alles kommentiert und analysiert. Sie betrachtet sich als Hobbypsychologin, unsere Nicoletta.«
Liz fragte sich, ob er das Gefühl hatte, ein Risiko einzugehen, weil sie hier zusammensaßen und wie zwei ganz normale Menschen miteinander schwatzten, als gäbe es keinen Mordfall. Auch wenn er völlig locker wirkte, spürte sie, dass er vorsichtig war und sich zurückhielt. Vielleicht hatte er Angst, die Grenzen könnten verwischen. Vielleicht ging er doch lieber auf Nummer sicher.
Der Rosenstrauß ging ihr nicht aus dem Sinn, und sie überlegte abermals, was den Mann veranlasst hatte, ihn an der Stelle niederzulegen, an der Rachel gestorben war. Er war mit Sicherheit ein Risiko eingegangen.
Sie leerte ihr Glas. »Um noch einmal auf den Mann im Park zurückzukommen: Glauben Sie, dass er Rachel umgebracht hat?«
»Das ist möglich. Alles ist möglich.«
»Man würde doch keine Blumen an der Stelle ablegen, wo jemand getötet wurde, wenn man nichts für denjenigen empfindet.«
Er zuckte mit den Achseln, als wäre jede Spekulation sinnlos, aber sie war damit nicht zufrieden.
»Und warum sollte er sie umbringen, wenn er sie geliebt hat? Und wenn er sie umgebracht hat, ist es dann nicht sehr riskant, zurückzukommen? Wenn man jemanden
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