Wer Böses Tut
sich Tartaglia einen Augenblick lang in die Zeit vor drei Monaten zurückversetzt. Was damals geschehen war, hing immer noch wie eine dunkle, giftige Wolke über ihnen. In einem ruhigen Moment hatte Donovan ihm einmal anvertraut, dass sie seither ungern allein war, sich fürchtete, schlafen zu gehen, und Angst vor den Alpträumen hatte, die kommen würden. Es hatte ihr Selbstvertrauen erschüttert. Egal, ob es stimmte, sie gab sich selbst die Schuld an allem, was passiert war, und weder er noch irgendein anderer konnte ihr das ausreden.
»Ich habe es richtig vermasselt, wie?«, sagte sie und wandte ihm plötzlich wieder ihr schmales, angespanntes Gesicht zu, wie ein Kind, das eine Antwort erwartet. »Das denken doch alle, oder? Und sie sagen es auch. Hinter meinem Rücken.«
»Nein. Nein, tun sie nicht«, widersprach er leise und schüttelte den Kopf. Niemand würde es wagen, so etwas zu sagen, wenn er in Hörweite war, und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass einer der Kollegen so etwas dachte. Er zog sie näher an
sich und zauste ihr kurzes, drahtiges Haar mit der Hand. »Du irrst dich, Sam. Niemand denkt das. Bitte glaub mir.« Doch als sie sich abwandte, merkte er, dass sie nicht überzeugt war, und wusste nicht, was er noch sagen sollte.
»Sie verstehen es nicht«, murmelte sie und fing wieder an zu weinen. »Sie haben keine Ahnung.«
Ihr Körper war vor Zorn ganz angespannt, und als sie ihren Kopf fest in seinen Arm schmiegte, spürte er, wie ihre Tränen seinen Ärmel nässten. »Nein«, sagte er nach einer Weile. »Sie können es nicht verstehen. Sie waren nicht dabei. Aber du weißt, dass ich es verstehe. Und ich werfe dir gar nichts vor.«
Draußen stieg Donovan in ihr Auto und sah Tartaglia zu, wie er sein Motorrad startete und davonfuhr. Sie ließ den Motor laufen und wartete darauf, dass die Heizung warm wurde. Schweigend saß sie im Wagen, sah durch die beschlagene Windschutzscheibe auf den glatten Flusslauf und die dunkle Silhouette der Bäume auf der anderen Seite des Ufers. Was für eine Idiotin sie war, eine weinerliche, erbärmliche kleine Idiotin. Wie hatte sie nur so die Fassung verlieren können? Was musste Tartaglia von ihr denken? Sie hasste es, dass sie neuerdings so schnell anfing zu heulen. Sie kam sich so dumm vor, sich so gehen zu lassen, auch wenn sie wusste, dass er der Letzte war, der es ihr als Schwäche auslegte. Aber auf einmal hatte alles so schwer auf ihr gelastet, dass sie es nicht mehr für sich behalten konnte. Minderedes’ Worte hatten alles wieder aufgerührt, und sie war so wütend und doch so hilflos. Was sie auch versuchte, um den Horror dessen, was geschehen war, zu verdrängen - die Erinnerungen und die Schuldgefühle waren immer da. Egal, was Tartaglia sagte, egal, wie gut er es verstand, nichts konnte sie vertreiben.
Wieder dachte sie an Tom - er entfernte sich nie weit aus ihren Gedanken, sein Schatten folgte ihr, wo immer sie hinging.
Sie konnte nicht mit seinem richtigen Namen an ihn denken. Er war einfach Tom. Das Chamäleon. Die Bestie. Der Vampir. Irgendwie hatte er mystische Formen angenommen.
Sie dachte daran, wie sehr sie von ihm eingenommen gewesen war, wie attraktiv sie ihn gefunden hatte. Bei dem Gedanken schauderte sie. Sie sah ihn vor sich,wie er neben ihr auf dem Sofa saß, so nah, den Kopf ein wenig schief gelegt, und sie musterte, als wäre sie ein gefangener Schmetterling, der zum letzten Mal mit den Flügeln flatterte. Die Art, wie er sie in jenen letzten Augenblicken angesehen hatte, sein Tonfall, der härter, schärfer, ja fast schon wütend war, ehe sie das Bewusstsein verlor, hatten sich ihr unauslöschlich eingebrannt. Die verdammte Lösung lag die ganze Zeit vor deiner Nase, und du hattest keinen Schimmer .
Es war alles ihre Schuld. Alles. Sie hätte es wissen können. Was Tartaglia anging, hatte die momentane körperliche Nähe, gepaart mit seiner Freundlichkeit, sie aufgewühlt. Gott sei Dank hatte er bis jetzt nie gemerkt, was sie fühlte, wie es sie manchmal schmerzte, ihn einfach nur anzuschauen. Sie hatte gedacht, sie würde damit zurechtkommen, hatte das alles ausgeblendet, sich gezwungen, nicht an ihn zu denken, bis es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war. Zwischen ihnen konnte es nie etwas anderes als Freundschaft geben, und ein Teil von ihr war glücklich damit. Wenn sie nur eine Gelegenheit bekäme und sich in seinen Augen rehabilitieren könnte, vielleicht konnte sie dann alles wieder zurechtrücken.
Ihre
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