Wer Böses Tut
etwas zu unternehmen, nicht mal mit Turner, den sie von allen noch am meisten mochte.
Er saß entspannt in einer düsteren Ecke des White Hart , ein fast leeres Glas in der riesigen Hand, eine Zigarette in der anderen, und sah aus wie ein Wikingerfossil, mit den extrem kurzen, weißblonden Haaren und den seltsam hellen Augen. Sie stellte ihre Tasche auf einem Stuhl ab und schälte sich aus dem Mantel. Es hatte sie ziemlich viel Mühe gekostet, ihn zu finden, erst nach zwei langen Nachrichten auf seiner Mailbox hatte er ihren Anruf endlich erwidert und sich einverstanden erklärt, sie hier zu treffen. Wie lange er wohl schon hier saß?
»Ich hole uns was zu trinken«, sagte sie und kramte ihr Portemonnaie aus der Tasche. »Whisky für dich, oder?«
Er drückte die Zigarette in einem bereits überquellenden Aschenbecher aus. »Hmm, Glenmorangie bitte. Einen doppelten, wenn du bezahlst, mit viel Eis und ohne Wasser. Es war ein Scheißtag. Und bring ein Päckchen Erdnüsse mit, wenn du schon dabei bist. Ich bin am Verhungern. Hier, nimm das«, sagte er plötzlich, wühlte tief in seiner Hosentasche und fischte einen
Zwanzigpfundschein heraus. »Kann doch eine Dame nicht bezahlen lassen, oder? Nicht mal, wenn du geschäftlich hier bist.«
»Schon gut. Du kannst die nächste Runde übernehmen. Ich bin mir sicher, wir trinken mehr als einen.«
Er zuckte gutmütig mit den Achseln und stopfte den Schein wieder in die Tasche.
Sie ging an die getäfelte Bar und schaffte es schließlich, die Aufmerksamkeit einer mürrisch dreinblickenden Bardame mit strubbeliger, schwarz gefärbter Turmfrisur auf sich zu lenken. Sie bestellte ein Glas Weißwein für sich und den Whisky und die Nüsse für Turner. Der Tresen hatte dringend einen Lappen nötig, und sie achtete sorgfältig darauf, wo sie ihre Hände hinlegte, während sie wartete. Dies war mit Sicherheit nicht der Ort, den sie sich normalerweise aussuchen würde, um etwas trinken zu gehen, und sie vermutete, dass Turner ihn nur gewählt hatte, weil er ganz in der Nähe des Gerichts lag.
Mit den schäbigen Möbeln und dem wild gemusterten Teppich gehörte er zu einer aussterbenden Gattung von Londoner Kneipen, ein pseudoviktorianisches Relikt aus den Achtzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Es war nicht besonders voll, aber es stank nach abgestandenem Bier und Zigaretten, und das drohende Rauchverbot zeigte bis jetzt keine Wirkung. Sie zog die modernen Bars vor, die inzwischen die Stadt überschwemmten, alte Pubs wie das White Hart , aber entrümpelt und mit Kerzen, Samt, Holzboden und gemütlichen Sofas bestückt. Sie waren mehr oder weniger austauschbar, aber man hielt sich wenigstens gerne dort auf, wenn auch kaum eine den Charakter und die urwüchsige Atmosphäre des Bull’s Head in Barnes hatte.
Sie zahlte, erntete wenig mehr als ein knappes Nicken von der Bardame und trug ihre Bestellung zum Tisch.
»Also, warum war es ein schlechter Tag?«, fragte sie und setzte sich Turner gegenüber.
Er lockerte seine muskulösen Schultern, als wären sie verspannt, riss die Tüte mit Erdnüssen auf und stopfte sich eine große Handvoll davon in den Mund. »Einer der Hauptzeugen ist gar nicht erst erschienen«, nuschelte er heftig kauend. »Und zu allem Überfluss hat der Richter länger gemacht, weil er morgen nicht kann. Er hat Urlaub, alle anderen sind ihm scheißegal. Aber so kann ich wenigstens mal ein bisschen Papierkram erledigen.« Er grinste, dann spülte er die Nüsse mit einem großen Schluck Whisky hinunter.
Er hatte das Jackett ausgezogen und die Ärmel hochgekrempelt, jetzt zerrte er geistesabwesend an seinem Krawattenknoten. Als er ihn endlich gelöst hatte, riss er sich den schlichten blauen Seidenschlips vom Hals und warf ihn auf den Tisch, als wollte er nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Er sah ungewöhnlich müde aus, das breite Gesicht eingefallen, mit hängenden Schultern, eine neue Zigarette schon zwischen den Fingern.
»Wie läuft’s mit Nina?«, fragte Donovan, die bemerkt hatte, dass er seinen Ehering nicht trug.
Ein Schatten überflog sein Gesicht, er zog ausgiebig an der Zigarette und blies eine Reihe perfekter Ringe in die Luft, ehe er antwortete. »Sie hat mich verlassen, verdammt noch mal, das läuft. Ist einfach abgehauen und wohnt bei irgendeiner Freundin, bis wir entschieden haben, was wir mit der Wohnung machen.«
»Oh, Simon, das tut mir leid«, sagte Donovan und hoffte, dass es ehrlich klang, obwohl sie nicht im Geringsten
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