Wer Böses Tut
Essen eingeladen? Ein schrecklicher Gedanke.
Catherines Leiche wurde von dem Nachbarn, Malcolm Broadbent, gegen neun Uhr am Sonntagmorgen gefunden, und der Notarzt war um sechzehn Minuten nach neun eingetroffen, um zwanzig nach neun hatte der Arzt den Tod festgestellt. Laut Bericht des Rechtsmediziners am Tatort war sie seit mindestens sechs Stunden tot, was den wahrscheinlichen Todeszeitpunkt auf die frühen Morgenstunden festlegte.
Des Weiteren hatte man angenommen, dass sie in dieser Nacht nie ins Bett gegangen war: Das Bett war unbenutzt, und ihr Nachthemd lag ordentlich gefaltet unter dem Kissen. Und das Wichtigste: Es gab keinerlei Anzeichen für einen Einbruch. Die Hintertür, die in den Garten führte, von wo aus es einen schmalen Pfad zur Hauptstraße gab, war fest verschlossen und verriegelt, und es schien, als hätte sie den Mörder durch die Haustür hereingelassen. Es war nirgends die Rede von Rufen oder Schreien oder sonst irgendetwas Ungewöhnlichem bis auf die Aussage des Bewohners der Souterrainwohnung, dass Catherine Watson in jener Nacht noch spät ungewöhnlich laut Musik gehört hätte. Aber da es ein Samstagabend war und die Mieter der Dachgeschosswohnung eine Party feierten und ebenfalls Lärm machten, hatte niemand sie gebeten, die Musik leiser zu machen. Der Nachbar in der unteren Wohnung glaubte, bis lange nach eins Musik und Schritte gehört zu haben, aber im Treppenhaus war ein ständiges Kommen und Gehen wegen der Party gewesen, weswegen er sich nicht hundertprozentig sicher war, dass die Schritte immer aus ihrer Wohnung kamen. Dem Bericht zufolge hatte der Mörder sich, angesichts ihrer Verletzungen und der Zeugenaussagen, Zeit gelassen und sie über mehrere Stunden gequält.
Tartaglia ging in Gedanken die Abfolge der Ereignisse durch und rief sich Rachel Tenisons letzte Schritte ins Gedächtnis. Wenn Jonathan Bourne die Wahrheit sagte - was ein großes Fragezeichen war -, hatte auch sie einen mysteriösen Besucher gehabt. Der Überfall auf Catherine Watson war deutlich brutaler gewesen, aber in ihrem Fall war es unwahrscheinlich, dass es einvernehmlich geschah. Vielleicht war die Gewalt umso größer, je stärker der Widerstand war, wie so oft in Fällen von Vergewaltigung.
Im Innern eines Aktenordners fand er den Film der Spurensicherung,
den einer der Mitarbeiter gemacht hatte, sauber mit Datum, Uhrzeit und Catherine Watsons Adresse beschriftet. Er schaltete den Fernseher ein und schob die DVD in den Rekorder. Die ersten Bilder zeigten eine breite, belebte Vorortstraße mit hohen Häusern zu beiden Seiten. Ein Bus und einige Autos fuhren durchs Bild, Passanten liefen vorbei, und einer grinste über die Absperrung hinweg dämlich in die Kamera, ehe er von einem uniformierten Beamten verscheucht wurde. Einen Augenblick später zoomte die Kamera auf das schäbige Haus, in dem Catherine Watson gewohnt hatte. Im Weitergehen fokussierte der Kameramann erst die hohe Hecke und das Holztor, das die Grenze zum Bürgersteig markierte, darauf folgte ein Schwenk auf den dahinter liegenden gepflasterten Hof mit seiner Ansammlung von Mülltonnen. Dann ging es ein paar Stufen hoch durch die offene Haustür hinein, weiter mit einem Blick in das dunkle Treppenhaus, ehe die Kamera auf eine Tür zur Linken schwenkte, den Eingang zur Wohnung im Erdgeschoss.
Die Tür führte unmittelbar in ein großes Wohnzimmer mit weiß gestrichenen Wänden. Schwache Wintersonne fiel durch ein großes Erkerfenster und bleichte einen ausgefransten, braunen Teppich; Staubpartikel tanzten in den Lichtstrahlen. Die Kamera hielt die weich fallenden, geblümten Vorhänge fest, die abgenutzten Möbel, den billigen Lampenschirm aus Papier an der Decke, die überquellenden Bücherregale zu beiden Seiten des Marmorkamins. Auf dem Sims standen gerahmte Fotografien von zwei kleinen Kindern, neben einer Pflanze in einem Keramikübertopf und zwei Kerzenständern aus Porzellan. Die Kerzen waren zu Stumpen heruntergebrannt, dunkelrote Wachsrinnsale flossen an den Seiten herunter auf den Kaminsims. Waren das die Kerzen, die Catherine Watson früher an jenem Tag gekauft hatte?
Ein paar große Bodenkissen bildeten eine Sitzecke auf dem Boden unter dem Erkerfenster, ein Stift, einige Blätter Papier und mehrere Bücher lagen daneben. Hier musste Watson in der Sonne gesessen haben, um zu lesen oder zu arbeiten. Dem Bericht zufolge war ihre Leiche im Wohnzimmer gefunden worden, aber als die Kamera durch den Raum schwenkte, sah
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