Wer Böses Tut
Tartaglia nirgends Anzeichen für einen Kampf.
Was dann folgte, war ein dunkler Flur, an den eine kleine Dusche grenzte und am Ende eine L-förmige Küche, die in einem Anbau zu liegen schien. Der Anzahl der Kochbücher und der ordentlich aufgereihten Einmachgläser nach zu urteilen, hatte Catherine Watson gerne gekocht. Wieder schien alles an seinem Platz zu sein. Die Kamera verweilte kurz auf einem Fenster und einer Hintertür, zeigte, dass beide verschlossen waren und an ihren Schlössern nicht gerührt worden war, um dann etwas wackelig durch den Flur zurückzuwandern bis ins Schlafzimmer.
Die Vorhänge waren nicht zugezogen, und es war kein zusätzliches Licht nötig, um Watsons nackten Körper zu filmen. Sie lag in der Mitte des Doppelbetts, die Arme an den Seiten wie im Schlaf. Als die Kamera näher auf die tiefen dunklen Male an ihren Knöcheln, Handgelenken und am Hals zoomte, fragte Tartaglia sich abermals, was die geöffneten Vorhänge und die Kerzen wohl zu bedeuten hatten.
Für den Moment hatte er genug gesehen, und er stoppte die DVD. Er zog weitere Fotos aus der Akte und fand einen Schnappschuss von Watson, der sie lebend zeigte. Das Foto war an einem sonnigen Sommertag aufgenommen, sie lehnte lächelnd an einer Steinsäule an irgendeinem klassizistischen Bauwerk, die Arme entspannt verschränkt. Er konnte nicht erkennen, ob sie groß oder klein war, aber sie hatte eine hübsche Figur und schöne Beine, auch wenn der weite Rock und die weite Bluse ihr nicht gerade schmeichelten. Schulterlange, wellige
braune Haare umrahmten ein breites, angenehm rundliches Gesicht mit einem großen Mund. Soweit er sehen konnte, war sie nur wenig oder gar nicht geschminkt. Ihr Gesichtsausdruck strahlte Wärme und Freundlichkeit aus, und er stellte sich die Sorte Frau vor, zu der man mit seinen Problemen gehen würde, aber vielleicht interpretierte er auch zu viel in das Bild. Rein äußerlich sah er überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen Catherine und Rachel.
Mit mehr Fragen als Antworten im Kopf merkte er auf einmal, dass er Hunger hatte, und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Die restlichen Akten mussten bis später warten.
Er griff nach dem Telefon und wählte Donovans Handynummer. Sie meldete sich sofort.
»Ich bin zu Hause«, sagte er. »Hast du Turner gefunden?«
»Ja, er ist hier bei mir. Wir waren etwas trinken. Er hat mir von dem Watson-Fall erzählt. Wir wollten gerade los und zum Chinesen.«
»Dann holt etwas zum Mitnehmen und bestellt mir was mit«, sagte er ungeduldig. »Und wenn ihr schon dabei seid, bringt noch Bier mit. Ich möchte, dass ihr beide zu mir kommt. Ich muss mit ihm reden.«
»Broadbent hat die Vorhänge in beiden Räumen aufgezogen, soweit wir wissen«, sagte Turner lässig.
Er gähnte ausgiebig und verstreute beim Sprechen Zigarettenasche, in der anderen Hand hielt er ein volles Whiskyglas in einem gefährlichen Winkel. Umgeben von schmutzigen Tellern und leeren Essenskartons lag er, ausgestreckt wie ein Pascha, in einer Rauchwolke zu Donovans Füßen, Kopf und Schultern auf einem Berg Kissen.
Tartaglia hatte das Fenster ein wenig geöffnet, um frische Luft hereinzulassen, und Donovan spürte den kalten, feuchten Luftzug
an den Schultern. Das sanfte Plätschern des Regens lullte sie ein, und sie streckte sich in den Tiefen ihres Sessels, beugte die Beine und kämpfte gegen den Wunsch an, die Füße auf Tartaglias teuer aussehenden Glastisch zu legen. Sie war unglaublich müde und froh, einfach nur zuhören zu können und den beiden das Reden zu überlassen. Sie spürte Tartaglias wachsende Ungeduld, aber Turner ließ sich nicht hetzen. Er hatte bereits einen Gutteil von Tartaglias Glenfiddich vernichtet und drohte auch noch den Rest zu erledigen, und die vielen Whiskys des Abends schienen, selbst bei einem Mann seiner Größe, langsam ihren Tribut zu fordern. Er war normalerweise trinkfester als die meisten anderen, aber Donovan hatte ihn noch nie so viel in sich hineinschütten sehen, und vor allem hatte sie ihn noch nie so angetrunken erlebt wie jetzt. Auch ketterauchend kannte sie ihn nicht. Nur Gott wusste, wie er morgen früh riechen würde.
»Was ist mit der Leiche?«, fragte Tartaglia.
»Broadbent hat sie bewegt. Sagte, sie war im Wohnzimmer, als er sie gefunden hat. Hat sie ins Schlafzimmer gebracht. Hat den Knebel entfernt. Die Schnur durchgeschnitten, mit der sie gefesselt war. Hat sie aufs Bett gelegt und eine Decke über sie ausgebreitet.«
»Warum hat er
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