Wer braucht schon Liebe
dass ich mich verspäte – eine Vereinbarung, die wir getroffen haben, nachdem ich alle davon überzeugt hatte, dass ich nicht von der Schule abgeholt werden muss. Ich hetze durch den Bahnhof.
Da steht er, neben dem Auto, die muskulösen Arme vor dem ebenfalls muskulösen Brustkorb verschränkt, mit gerecktem Hals, damit er die Menschenmenge vor mir besser überblicken kann, und seine Augen suchen nach einem vertrauten Gesicht. Meinem. Ich winke – weil ich nicht will, dass eine Riesensache daraus wird.
Sein Gesicht entspannt sich, als er mich sieht.
» Entschuldige«, sage ich und tue so, als wäre ich außer Puste. Als hätte ich alles versucht. » DART verpasst. Vergessen zu simsen.«
» Ich hätte erst angefangen, mir Sorgen zu machen, wenn du in der nicht gewesen wärst«, sagt er. Aber ich spüre, wie erleichtert er ist, und es fühlt sich gut an, dass sich jemand Sorgen um mich macht – bis mir einfällt, dass das sein Job ist.
Wir steigen ins Auto.
» Kannst du mich zu Dundrum fahren?«
Er schaut in den Rückspiegel. Er kennt mich, er weiß, dass ich shoppen gehe, wenn ich deprimiert bin.
» Nur eine kleine harmlose Einkaufstherapie«, sage ich.
Er wirft noch mal einen prüfenden Blick in den Spiegel.
» Es geht mir gut, wirklich. Können wir fahren?«
» Ich sag nur deinem Vater Bescheid, für den Fall, dass er auf dich wartet.«
Ich stelle ihn mir vor, in seine Musik versunken oder beim Fitnesstraining oder im Gespräch mit seinem Manager oder mit seiner Stylistin – und ich muss auflachen.
» Dann schicke ich ihm eine SMS «, sagt Mike.
» Wie du willst.«
In dem riesigen Einkaufszentrum gehe ich schnurstracks zum Geldautomaten. Die Geldsituation sieht folgendermaßen aus: Meine Mutter kann nicht mehr Nein sagen; der Rockstar – wenn er mal da ist – tut es nicht gern. Also habe ich ein Bankkonto auf meinen Namen. Und eine Karte, die immer funktioniert. Es ist wie im Märchen vom süßen Brei, in dem sich die Schüssel immer wieder füllt wie durch Zauberhand. Ich nutze das nicht aus – außer es ist wirklich nötig. Jetzt ist es nötig. Bei Tommy Hilfiger schlage ich ein bisschen über die Stränge. Und noch ein bisschen mehr bei River Island. Bei Schuh kaufe ich ein Paar Converse Turnschuhe, ein Paar schwarze Pumps und ein Paar High Heels mit acht Zentimeter hohen Absätzen. Dann zurück zum Geldautomaten für mehr Munition. Ich fülle meine Schminkvorräte bei Mac großzügig auf, dann Parfüm und Geleebohnen bei House of Fraser. Im Schönheitssalon quetschen sie mich noch für eine Runde St.-Tropez-Bräune dazwischen. Als ich rauskomme, geht es mir schon viel besser. Ich kaufe Mike sogar ein Eis.
Zu Hause schleppe ich meine Einkaufstüten durch die Eingangshalle. Und bleibe stehen. Aus der Küche höre ich Stimmengemurmel. Der Rockstar isst nie allein. Er hat immer, immer jemanden um sich. Und wie immer, immer gehe ich ihnen aus dem Weg. Aber heute erkenne ich die Stimmen und lächele. Für mich ist die Band so was wie Familie. Wie Onkel, nur netter. Seit meiner Kindheit waren sie immer um mich herum. Bob, der Bassgitarrist, der traurigerweise immer noch einen Pferdeschwanz trägt; Tony, der Schlagzeuger, der sich die Haare abrasiert, seit sie ihm ausgehen; und Streak, der sein Stirnband wahrscheinlich nicht mal abnimmt, wenn er schlafen geht. Sie sind schon länger zusammen, als ich auf der Welt bin. Sie haben gemeinsam Scheidungen durchgemacht, Skandale, Krankheiten, Tod, das Leben … Sie sind so eng befreundet, wie Männer überhaupt sein können. Ich gehe in Richtung Küche, bleibe aber stehen, als ich Streaks Stimme höre. Er klingt ernst.
» Nein, Mike hat recht. Das geht schon zu lange so. Du musst ein Kontaktverbot erwirken.«
» Ach, was«, wendet Bob ein. » Das ist nur ein trauriges, einsames Wesen, und sie glaubt, dass der alte Knacker hier« – ich höre einen Schlag auf einen Rücken – » ihre Probleme löst.«
» Denk an die Publicity«, sagt Tony. » Wollen wir wirklich so eine Art von Aufmerksamkeit? Das ermutigt andere doch nur.«
Ich gehe rein. » Hey«, sage ich und werfe meine Tüten auf den Boden.
Alle verstummen. Vier Köpfe drehen sich in meine Richtung. Dann stehen sie auf, als wäre ich jemand aus der Königsfamilie. So behandeln sie mich, seit Mum gestorben ist. Tony zieht einen Stuhl unter dem Tisch heraus. Streak breitet die Arme aus, um mich an sich zu drücken. Von allen Bandmitgliedern redet er am wenigsten. Und ich mag ihn am
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