Wer den Himmel berührt
in Yancanna gewesen«, sagte er. »Ich habe fast achtzehn Jahre hier gelebt, und ich habe nie gewußt, wie es im Busch wirklich zugeht. Ich dachte, Augusta Springs sei der echte Busch.« Seine Stimme verhallte, als spräche er mit sich selbst. »Aus der Luft sieht alles gleich ganz anders aus, nicht wahr? Und dieser Sam, mein Gott, er ist als Krankenschwester eingesprungen. Ich brauchte ihm noch nicht einmal zu erklären, wie er dem Patienten eine Narkose verabreicht. Ich hatte keine Ahnung, was ihr alles tut. Ich war froh um diese Gelegenheit, einmal zu sehen, wie ihr vorgeht. Schwester Claire hat es auch Spaß gemacht. Ich glaube, sie und dein Pilot waren gern miteinander unterwegs. Es würde mich nicht wundern …«
Dann hatte Sam also doch nichts an Schwester Claire auszusetzen gehabt. Cassie lächelte vor sich hin. Das wird ihn lehren, daß die äußere Erscheinung nicht alles ist. Gegen Schwester Claires Aussehen war absolut nichts einzuwenden; sie war nur einfach nicht so niedlich wie die anderen Krankenschwestern, aber sie war unglaublich kompetent. Vielleicht wurde Sam langsam erwachsen.
Nach Einbruch der Dunkelheit kam Sam zu ihr gefahren. »Hattest du deinen Spaß?« fragte er, während er mit einem Grashalm zwischen den Zähnen die Stufen zur Veranda hochsprang.
Cassie nickte. »Du auch, wie ich gehört habe.«
»In dieser Stadt hat man aber auch wirklich kein Privatleben, stimmt’s?« Dabei grinste er.
»Wir müssen morgen nach Yancanna rausfliegen. Nach der Funksprechstunde um acht, in Ordnung?«
»Ja«, sagte er und setzte sich auf einen der Stühle, die um den runden Tisch herumstanden. »Hast du einen Kaffee für mich?«
»Klar.« Cassie ging in die Küche, um den übriggebliebenen Kaffee aufzuwärmen, und dann kam sie wieder zurück. »Es kann gut sein, daß ich ein paar Tage dort bleiben muß. Dr. Adams hat von sich aus angeboten, uns zu begleiten – es klingt so, als müßte ein Patient hierher ins Krankenhaus gebracht werden. Übrigens war er beeindruckt von dir.«
»Wir werden mehr Sprechstunden absagen müssen?«
Cassie nickte. »Es muß sein. Vielleicht kann Schwester Claire«, sagte sie und sah Sam spöttisch an, »in Notfällen mit dir rausfliegen. Falls Chris – Dr. Adams – nicht selbst gerade einen Notfall hat, fliegt er vielleicht mit raus, wenn etwas wirklich dringend zu sein scheint. Aber ich werde in Yancanna gebraucht. Es könnte der Beginn einer Epidemie sein.«
»Allzuviel weiß ich nicht über Polio.«
Cassie ging einen Moment lang in die Küche, drehte das Gas unter dem Kaffee ab, schenkte ihn ein und brachte Sam eine Tasse.
»Ist diese Krankheit immer tödlich oder führt zu Lähmungen?«
Cassie zog die Augenbrauen hoch und schürzte die Lippen. »Nein, aber doch oft genug, um so gefürchtet wie die Pest zu sein. Das ärgerliche ist, daß man bisher immer noch keine spezifische Behandlungsweise dafür kennt. Es gibt Fälle ohne Lähmungen, und ich vermute, viele Erkrankungen, die glimpflich verlaufen, werden gar nicht diagnostiziert. Aber während einer Epidemie kann jeder, vor allem Kinder, die einen rauhen Hals, einen steifen Nacken oder Rückenschmerzen haben – und Probleme mit den Achillessehnen – infiziert sein. Es gibt drei Formen, falls ich mich recht erinnere: den harmlosen Fall ohne Lähmungen, den Fall mit Lähmungen und schließlich den lebensgefährlichen Fall. Innerhalb der allerersten Tage kann man unmöglich sagen, welcher dieser Fälle daraus werden wird. Sämtliche Patienten werden als ansteckend angesehen und sollten unter Quarantäne gestellt werden. Chris hat drei Zimmer dafür vorgesehen und zwei Krankenschwestern für den Notfall in Bereitschaft. Er erweist sich als prachtvoll kooperativ.«
»Es war gar nicht schlecht mit ihm. Nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe«, berichtete Sam. »Er geht nicht gerade toll mit den Patienten um, aber er ist nicht das Ekel, mit dem ich, nach allem, was ich gehört habe, gerechnet hätte.«
»Ich kann mich noch erinnern, daß Fiona mir gesagt hat, er bellt, aber er beißt nicht. Vielleicht muß man ihn nur erst etwas besser kennenlernen. Ich habe den Verdacht, all das hat ihn auch von Isabels Tod abgelenkt. Er wird uns zwischen Viertel vor neun und neun auf dem Flugplatz treffen.«
»Willst du, daß ich dich um sieben abhole, damit wir bei ›Addie’s‹ frühstücken können und ich dir berichten kann, was hier passiert ist, während du deine Romanze hattest?«
Cassie lächelte
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