Wer den Himmel berührt
sagte Cassie und nahm die Hand ihrer Patientin. »Ich werde Ihnen etwas geben, was Sie entspannen wird.« Sie wandte sich an den Piloten. »Sie dürfen eine Flughöhe von hundertfünfzig Metern nicht überschreiten. Nicht mit einer Patientin in dieser Verfassung.«
Er nickte. »Ich weiß. Das heißt, daß wir länger brauchen werden, um dort anzukommen.«
In einer Kabine ohne Druckausgleich hatten sie keine andere Wahl.
»Was ist mit dem Krieg?« fragte Cassie, nachdem sie gestartet waren.
Der Pilot drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Das ist mein letzter Flug, ehe ich fortgehe.«
»Fort?« fragte sie. »Wohin?«
Er sah sie an, als sei sie geistig zurückgeblieben. »Nach England natürlich. Dort brauchen sie Piloten. Ich schätze, es gibt nichts, was sie dort nicht brauchen.«
»Hier werden auch Leute gebraucht.«
»Nicht so wie dort. Alle melden sich freiwillig.«
»Wer ist alle?« fragte sie. »Ich melde mich nicht freiwillig.«
»Ich schätze, es hat wohl doch sein Gutes, daß es Frauen unter den Ärzten gibt. Ich kann mir vorstellen, daß alle männlichen Ärzte rübergehen.«
Rüber?
Das war der Große Krieg. Der Weltkrieg.
Der Pilot fuhr fort. »Ich wette, daß alle Männer unter Vierzig sich freiwillig melden. Wir gehen alle hin, aber wahrscheinlich werden wir Weihnachten wieder hiersein. Das will sich doch keiner entgehen lassen.«
Niemand will sich einen Krieg entgehen lassen? fragte sich Cassie verwundert. Sie schloß die Augen. Sie wußte noch nicht einmal, was für einen Wochentag sie hatten. Den Monat, ja. September. Das Jahr war 1939. Vor genau einem Jahr war sie nach Augusta Springs gekommen.
Im Zwielicht der Abenddämmerung flogen sie über den Cooper River, nichts weiter als ein Band aus grünen Bäumen in der Landschaft mit der rissigen Erde, die so aussah, wie es auf dem Mond aussehen mußte. Der Pilot deutete auf die enorme sandige Leere. »Das ist der Eyresee«, sagte er grinsend.
»Ein See?«
»Es heißt, daß er nur zweimal im Jahrhundert Wasser hat. Der Cooper und der Diamantina ergießen sich im Frühjahr in ihn, wenn sie überflutet sind, aber dabei bleibt es nicht lange. Eigentlich ist es eher eine trockene Salzpfanne.«
Kurz darauf sagte er: »Sehen Sie diese Lichter dort unten? Das ist Maree. Links davon kommen gleich die Kohlelager vom Leigh Creek in Sicht, und darauf folgt, aber vielleicht wird es schon zu dunkel, um es sehen zu können, so ziemlich das beste Ackerland auf dem ganzen Kontinent.«
Auf dem Flughafen von Adelaide wurden sie von einem Arzt, einer Krankenschwester und einem Pritschenwagen erwartet. »Wir haben ein Sauerstoffgerät auf der Ladefläche. Wir dachten, es ist das beste, wenn wir sie gleich in eine eiserne Lunge stecken«, sagte die Krankenschwester. Sie gingen schnell und umsichtig vor und stießen mit dem Lastwagen zurück, bis sie vor der Frachtklappe des Flugzeugs standen.
»Wir haben einen Geburtshelfer in Bereitschaft«, sagte der Arzt, »für den Fall, daß wir ihn heute nacht noch brauchen sollten. Kommen Sie, steigen Sie auf. Wir werden uns zu der Patientin setzen.«
Cassie brauchte die fünfzig Dollar von Sam nicht für ein Hotel auszugeben. Sie schlief in dem Zimmer des diensttuenden Arztes im Krankenhaus und wachte erst auf, als sie um fünf Uhr dreißig geholt wurde, weil ein Flugzeug nach Alice Springs flog. Dort erwischte sie eine weitere Maschine, die sie nach Augusta Springs brachte. Sie brauchte den ganzen Tag, um nach Hause zu gelangen.
Sie wünschte, Blake wäre dagewesen. Seit ihrem Aufbruch in Yancanna hatte sie wenig Zeit gehabt, auch nur an ihn zu denken. Sie würde ihn anrufen, sowie sie in Augusta Springs ankam. Wahrscheinlich hatte er versucht, sie zu erreichen, und er mußte sich schon gefragt haben, wo sie wohl steckte, wenn er sich nicht über Funk bei Horrie nach ihr erkundigt hatte. Aber als sie nach Hause kam, fand sie eine Nachricht vor, die an ihre Tür geheftet war.
»Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden, und du warst nicht da. Horrie hat mir erzählt, daß du wegen einer Polioepidemie draußen in Yancanna bist. Ich kann nicht bleiben. Ich melde mich freiwillig zur Royal Australian Air Force und hoffe, ich kann ein paar Nazis aus der Luft runterschießen. Erst das Erhabene (unser Urlaub), dann der Krieg, womit ich nicht etwa sagen will, dieser Krieg sei lächerlich. Ich trage dich mit mir (in meiner linken Hemdtasche). Die Erinnerung an deine Küsse wird mir eine Hilfe sein.«
Dann ein großes
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