Wer den Himmel berührt
Mir persönlich graut davor, daß du fortgehen könntest.« Sie verließ den Raum und rief Sam an, um ihm zu sagen, daß sie ihn vor dem Krankenhaus erwarten würde und daß er sie auf dem Weg zur Zentrale dort abholen sollte. Während sie die Funkrufe entgegennahm, redeten Sam und Horrie mit gesenkten Stimmen miteinander. Es waren keine Notrufe darunter, in Yancanna waren keine neuen Fälle von Polio bekannt, und sie konnte die Probleme aller Anrufer fernmündlich klären. Sie wandte sich an Horrie. »Ich glaube, in zwei Tagen können wir die regelmäßigen Behandlungsreisen wiederaufnehmen«, sagte sie. »Laß mir ein oder zwei Tage Zeit, damit ich mich erholen kann.«
Sowohl Horrie als auch Sam sahen sie seltsam an. Sam nahm sie am Arm und führte sie aus der Hütte. »Doc, ich muß dir was sagen.«
Sie blickte zu ihm auf.
»Ich habe mich freiwillig gemeldet«, sagte er.
28
D as kannst du nicht tun«, rief Cassie aus, und Zorn machte sich in ihrer Brust breit.
»He, Doc, wenn wir nicht losziehen und gegen Hitler kämpfen, kann es gut sein, daß uns hinterher hier nichts mehr bleibt, was der Mühe wert wäre.«
Cassie starrte Sam einfach nur an.
»Und was sollen die Leute hier anfangen? Alle lassen uns im Stich.« Erst Blake. Jetzt Sam. Und Chris spielte mit dem Gedanken. Es kostete sie Mühe, nicht zu weinen.
»Niemand läßt die Leute hier im Stich. QANTAS schickt einen anderen Piloten raus, einen Mann mit Familie, der zu alt ist für den Krieg.«
»Zu alt? Und was soll er mir dann nützen?«
»Um Himmels willen, Cassie.« Sie nahm vage zur Kenntnis, daß er sie nicht
Doc
genannt hatte. »Du wirst weiterhin tun, was du bisher getan hast und was notwendig ist. Überleg dir nur, wie gut es ist, daß es Frauen unter den Ärzten gibt, die das heimische Herdfeuer hüten …«
»Wag es bloß nicht, etwas derart Banales zu sagen!« Sie ballte die Hand zur Faust und schlug sie ihm auf die Schulter.
Erstaunen zog über sein Gesicht. »He, Doc …«
»Verschone mich bloß mit deinem
He, Doc
. Ich hasse es, Doc genannt zu werden. Ich hasse es! Ihr Männer glaubt alle, es ist wer weiß wie toll, in den Krieg zu ziehen, und so heroisch. Vielleicht ist es genauso heroisch, hierzubleiben und den eintönigen Alltagskram zu erledigen, die Dinge zu tun, die gewöhnliche Menschen brauchen, aber nein, das ist wohl nicht heldenhaft genug, stimmt’s?«
Sam packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Du steigerst dich in eine Hysterie hinein«, sagte er. »Sieh mal, Doc … Cassie. Gegen diesen Mist in Europa muß etwas unternommen werden. Wir führen Krieg gegen Deutschland. Wir müssen kämpfen. Es gibt keinen einzigen Mann in der ganzen Gegend, der sich selbst noch in die Augen sehen könnte, wenn er es nicht wenigstens versucht hätte …«
»Was habt ihr vor, das Land ganz und gar den Frauen zu überlassen?«
»Wenn sie so sind wie du, dann sind sie dem gewachsen. Doc … Cassie, du bist allem gewachsen. Überleg dir doch nur, was ich mit dir schon alles erlebt habe. Ich habe geglaubt, eine dümmere Idee als die, eine Frau als Ärztin einzustellen, hätten die Fliegenden Ärzte gar nicht haben können. Ich habe geglaubt, Männer würden sich nicht von dir untersuchen lassen und du würdest wie ein Bleigewicht untergehen. Aber du hast mir gezeigt, daß ich mich getäuscht habe. Ich glaube nicht, daß es hier draußen viele Leute gibt, die dich überhaupt als Frau ansehen. Sie behandeln dich wie einen Mann. Du hast es geschafft. Ich bin stolz darauf, mit dir gearbeitet zu haben.« Er tätschelte ihren Arm. »Du wirst einen anderen Piloten bekommen, der absolut in Ordnung ist, und du wirst genauso weitermachen wie bisher. Niemand läßt die Leute hier draußen oder dich im Stich.«
Cassie brach in Tränen aus. Sam legte die Arme um sie. Sie fühlte sich gleich wesentlich wohler und verspürte in seinen Armen Geborgenheit, obwohl er ihr gerade jedes Gefühl von Sicherheit genommen hatte. »O Sam, was auf Erden soll ich bloß ohne dich tun?«
»Ich habe dir doch gerade gesagt, daß ein anderer Pilot herkommen wird, und QANTAS würde ihn nicht einstellen, wenn er nicht Spitze wäre …«
»Das meine ich nicht«, jammerte sie und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. »Was fange ich ohne
dich
an? Ich meine, du bist meine Krankenschwester und mein Anästhesist gewesen, und immer, wenn ich mich einer Situation nicht gewachsen fühle oder wenn du spürst, daß ich mich fürchte, sagst du mir:
Du kannst es
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