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Wer den Himmel berührt

Wer den Himmel berührt

Titel: Wer den Himmel berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bickmore
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alkoholgetränkten Wattebausch reinigte sie einen Bereich des Unterleibs und rieb ihn anschließend mit Jodtinktur ein. Sie holte tief Atem, nahm ein scharfes chirurgisches Messer in die Hand, machte direkt über dem Schambein einen vertikalen Schnitt von fünf Zentimetern Länge und spreizte die Ränder mit dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand. Das Adrenalin begann zu fließen, wie immer, wenn sie mit einer Operation begann.
    »Ich muß durch mehrere Schichten gehen.« Cassie setzte als selbstverständlich voraus, daß Sam sich dafür interessierte, was sie tat, und sie wußte, daß ein Teil der nervlichen Anspannung von ihr abfallen würde, wenn sie laut redete. »Diese zweite schlüpfrige Fettschicht, in der Blut aus den Gefäßen sickert, und dann diese dicke Knorpelschicht.«
    Das scharfe reißende Geräusch, das sie erwartete, war zu vernehmen. Alles schien blutüberströmt zu sein.
    Sam zuckte zusammen.
    »Genauso soll es sein«, versicherte ihm Cassie. »Dann durchschneide ich diese dicke Muskelschicht hier und durchtrenne die Rektalmuskeln.«
    Einer der Männer hinter ihr gab einen erstickten Laut von sich, rannte fort und übergab sich in den Sand.
    »Das dient als Dränage, damit der Urin aus der Blase fließen kann und alles an Blut und Urin, was sich außerhalb der Blase in der Bauchhöhle gesammelt hat, ablaufen kann. Ich muß auch die Blase leeren. Sowie der Schnitt durch die Muskelschicht geht, da, ah …« Eine Fontäne von Urin und Blut ergoß sich. Es roch gräßlich.
    »Ich kann einen kleinen Teil der Blase sehen, kann aber den Riß nicht deutlich erkennen.« Cassie stieß einen Gummikatheter in die Blase und erklärte: »Das dient dazu, die Absonderung von Flüssigkeiten zu erleichtern.« Ihre Hände bewegten sich geschickt, als sie um die Blase herum zwei Gummidränagen einführte, die helfen sollten, das abzusaugen, was an Blut und Urin bereits in die Bauchhöhle vorgedrungen war. Mit einer Hand brachte sie eine Klammer an, damit das Röhrchen des Gummikatheters nicht verrutschen konnte, und dann griff sie in die Blase und schloß die Muskelschicht mit einer Klammer und mit zwei weiteren Klammern den Schnitt in der Haut. Sämtliche Schläuche schauten aus dem unteren Teil des fünf Zentimeter langen Schnitts heraus.
    Alles war reibungslos abgelaufen.
    »Jetzt brauche ich ihn nur noch zuzunähen.« Der Knoten in ihrem Magen lockerte sich.
    Sams Blick löste sich nicht eine Sekunde lang von ihren Fingern.
    »Okay, er braucht jetzt keinen Äther mehr.«
    Als sie wahrnahm, daß ihr ganzer Körper sich entspannte, stieß sie einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Die Verkrampfung ihrer Schultern begann sich zu lösen.
    Sie lächelte Sam an. »Du hast deine Sache sehr gut gemacht. Danke.«
    Er warf die Gazemaske auf die sterilen Tücher und stellte die Ätherflasche in den Sand. Eine Minute lang starrte er sie an, und dann stand er auf und ging, begab sich zu den Pferden, die mit ihren Fußfesseln ein gutes Stück entfernt von ihnen standen.
    Als sie sich zu den Kumpeln des Patienten umdrehte, sah sie, daß nur noch einer von ihnen da war. Sie fragte: »Können Sie eine Tragbahre basteln, damit wir ihn zum Flugzeug tragen und ins Krankenhaus bringen können?«
    Sie wünschte, sie hätte etwas Erfrischendes oder eine Tasse von Sams Kaffee haben können.
    Sie stand auf, um sich zu strecken, und dann schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und sah zu, wie sich blutrote Streifen über den dunkler werdenden Himmel zogen.

5
    N achdem sie mit den Männern eine Mahlzeit aus Bohnen und ungesäuertem Brot, das in glühender Asche gebacken worden war, zu sich genommen hatte, wurde die Stille des menschenleeren Landes durch die heiseren Schreie von Tausenden von Kakadus mit rosiger Brust durchbrochen, die den Himmel verfinsterten.
    »Sie sind auf dem Weg zu einem Wasserloch irgendwo hier in der Nähe«, sagte Sam. Mehr Vögel, als Cassie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte, versammelten sich. Sie ließen sich auf Bäumen nieder, wodurch der Eukalyptus gespenstisch wirkte. Finken und Wellensittiche beschlagnahmten die höheren Äste und fielen in die Rufe der Galahs ein.
    In der Ferne waren Rindertränken; Vögel schossen vom Himmel hinab, ließen sich auf den Rücken der Rinder nieder und tranken gemeinsam mit ihnen. Woher waren all diese Rinder plötzlich gekommen?
    Es war vollkommen unmöglich, sich über die Schreie dieser Tausende von Vögeln hinweg zu verständigen, bis die

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