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Wer den Himmel berührt

Wer den Himmel berührt

Titel: Wer den Himmel berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bickmore
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Abenddämmerung anbrach und der blasse Lavendelton des Himmels von Violett abgelöst wurde und dann die Farbe von getrocknetem Blut annahm, ehe er sich zu einem üppigen königlichen Purpur verfärbte.
    Cassie saß neben ihrem Patienten, während Sam und die drei Viehtreiber dastanden, miteinander redeten und rauchten.
    Plötzlich trat Stille ein, so tief wie der Tod. Sie sah, daß Sam seine Zigarette austrat und auf sie zukam. Spannung hing in der Luft, und doch war absolut kein Laut zu vernehmen.
    Als die Dunkelheit einsetzte, waren nur noch die glimmenden Enden von drei Zigaretten zu sehen.
    Als Sam sie erreicht hatte, setzte es ein – das Muhen von anscheinend Tausenden von Rindern. »Komm mit.« Sams Hand legte sich auf ihre Schulter. Er nahm sie an der Hand und zog sie auf die Füße. »Willst du etwas sehen, was du dein Leben lang nicht vergessen wirst?« Er hielt sie weiterhin an der Hand, damit sie in der Dunkelheit nicht stolperte, als er sie unter den Bäumen heraus und durch die liebliche laue Nachtluft führte. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie Gestalten, die sich durch die Nacht bewegten, Männer auf Pferden, die die Rinder dicht zusammentrieben und sie anspornten, sich hinzulegen.
    »Das sind auch Züchter«, sagte Sam mit gesenkter Stimme und ließ ihre Hand los.
    Hüte mit einem Fassungsvermögen von zehn Gallonen setzten sich als Silhouetten gegen den funkelnden tropischen Sternenhimmel ab. Sie konnte sehen, wie die Rinder die Köpfe zurückwarfen und innerhalb des Kreises ziellos umherirrten, um den herum ein Dutzend Viehzüchter ritten. Sam blieb stehen, und sie beobachteten die Umrisse in der Nacht.
    Die Züchter begannen zu singen, anfangs ganz leise.
    »Sie singen den Rindern etwas vor, um sie zu beruhigen«, erklärte Sam. »Damit machen sie ihnen klar, daß Menschen in ihrer Nähe sind, und somit wissen die Rinder, daß sie in Sicherheit sind. Verstehst du, wenn auch nur eines der Tiere in Panik gerät, könnte die ganze Herde innerhalb von Minuten durchgehen, und kein Mensch könnte sie aufhalten. Aber wenn sie den Rindern vorsingen und damit für Ruhe sorgen, dann fürchten sich die Tiere nicht.«
    Die Stimmen der Viehzüchter waren hoch und ähnelten keinem Gesang, den Cassie je gehört hatte. Das zufriedene Muhen bildete die Hintergrundmusik. Dann wurde derselbe Rhythmus wiederholt, diesmal einen Ton tiefer, und darauf folgte ein seltsames Geräusch, fast wie ein tiefes Beben, das durch die meilenweite Leere getragen wurde.
    Cassies Rückgrat prickelte. Nichts, was sie je erlebt hatte, hatte sie darauf vorbereitet.
    Als der Mond aufging, ritten die Sänger vorbei und umkreisten schützend die Herde. Wilde, primitive Rhythmen erfüllten die Nacht.
    Cassie und Sam mußten wohl eine Stunde lang zugesehen haben, als er sagte: »Wir legen uns jetzt besser schlafen, weil wir sonst morgen nicht zu gebrauchen sind.«
    Cassie wollte neben ihrem Patienten schlafen. Sam lag in der Nähe auf dem Rücken, hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und die Baseballmütze ins Gesicht gezogen und schlief augenblicklich ein. Cassie lag da, starrte die Sterne an und überlegte sich, daß das ein echtes Abenteuer gewesen war. Sie hatte sich in jeder einzelnen Minute lebendig gefühlt. In jeder einzelnen Sekunde. Und sie hatte geglaubt, sie könnte vielleicht nie wieder in der Lage sein, etwas zu fühlen. Zum ersten Mal ging ihr auf, daß dieses Jahr durchaus Spaß machen könnte. Vielleicht war es das Beste gewesen, was ihr hätte zustoßen können, daß sie Melbourne verlassen hatte. Onkel Norm hatte gewußt, was er tat, als er sie hierhergeschickt hatte. Vielleicht konnte sie Ray vergessen. Vielleicht heilte die Zeit tatsächlich alle Wunden.
    Die ganze Nacht über wachte sie in Abständen auf, weil sie sich so wenig wie möglich vom Anblick dieses Sternenhimmels entgehen lassen wollte. Gegen Morgen schlief sie tief und fest.
    Als sie erwachte, waren sie fort. Tausend Rinder, die Männer mit ihren Hüten, ihre Pferde, die Vögel – alle verschwunden. Nur die flache grasbewachsene Ebene, die jetzt schon unter der Sonne glühte, war geblieben. Leer. Und stumm.
    Cassie hörte den Patienten, dessen Stimme kräftiger als am Vortag war, sagen: »Sie hat mir das Leben gerettet, stimmt’s?« Cassie drehte sich zu ihm um, weil sie ihn anschauen wollte, und sah, daß Sam über ihnen stand. Hinter der Sonnenbrille konnte sie seine Augen nicht sehen, als er antwortete. »Ich glaube,

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