Wer den Himmel berührt
sah sie, wie zwei Männer ihn aus dem Cockpit zerrten, in dem er eingekeilt war, und sie wußte auf den ersten Blick, daß er im Moment des Aufpralls zerquetscht worden sein mußte.
Blut strömte aus seiner Nase, seinem Mund und sogar aus seinen Ohren. Er konnte nur schwer und unter großen Schmerzen atmen.
»Bringen Sie ihn in den Schatten«, ordnete Cassie an und legte sich die Hand auf den Hinterkopf, der plötzlich schrecklich schmerzte. Die beiden Männer hoben Warren hoch und brachten ihn in den Schatten der rechten Tragfläche. Cassie kniete sich neben ihn. Einen Moment lang konnte sie ihn nicht sehen, da sie von ihren eigenen Schmerzen stark beeinträchtigt wurde. Schon allein sein Anblick sagte ihr, daß er so gut wie tot war. Es gab nichts, was sie noch für ihn hätte tun können.
Sie stand auf und sah sich nach ihrer Patientin um, und zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, daß ihr Körper sich um die Bahre herumgeschlungen hatte und Teile der Bahre sie durchbohrt hatten.
Da sie sich nutzlos fühlte und verzweifelt war, kehrte Cassie zu Warren zurück, setzte sich hin und hielt seine Hand, bis er eine halbe Stunde später aufhörte zu atmen.
Sie legte den Kopf auf seine Brust und weinte.
Fast ein Dutzend Leute hatten sich am Ort der Bruchlandung versammelt.
Ein Mann, den Cassie noch nie gesehen hatte, kam auf sie zu. »Ich habe Ihre Funkstation benachrichtigt«, sagte er und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Sie schicken jemanden von Highcastle mit einem Krankenwagen. Das ist etwa hundert Meilen von hier, und daher wird es drei bis vier Stunden dauern, ehe Hilfe kommt.«
Cassie drehte sich zu ihm um, doch sie konnte lediglich verschwommene Umrisse erkennen. Die Geräusche der Menschen, die sich um sie scharten, verklangen, und das einzige, was sie noch sehen konnte, waren die blendenden Strahlen der Sonne. Ich werde auch sterben, dachte sie, als der Schmerz in ihrem Hinterkopf ihr den Schädel zu spalten schien.
Es kostete zuviel Anstrengung, die Augen aufzuschlagen, doch sie hörte leise Geräusche – Schuhe mit Gummisohlen auf den Bodenfliesen, das leise Rascheln von gestärkten Schwesterntrachten, und dazu kam der unverwechselbare Krankenhausgeruch. Sie versank wieder in Bewußtlosigkeit.
Als sie das nächste Mal aufwachte, fühlte sie eine Hand, die ihre hielt. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, doch ihre Lider flatterten nur.
Eine vertraute ausdruckslose Stimme sagte: »Du hast eine Gehirnerschütterung. Etwas hat dich direkt über dem Haaransatz getroffen und deinen Schädel verletzt. Der Spalt ist keine drei Zentimeter lang, aber wahrscheinlich wirst du ein paar Tage lang verwirrt sein.«
Sie zwang sich, die Augen zu öffnen. Chris Adams saß neben dem Bett und hielt ihre Hand.
»Ein spitzer Gegenstand hat deinen linken Arm fast ganz durchdrungen.« Sorge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Direkt über dem linken Ellbogen. »Zum Glück hat dieser Gegenstand die Nerven verfehlt. Es wird ein paar Wochen dauern, bis du wieder gesund bist.« Er drückte fest ihre Hand.
»Bin ich zu Hause?« fragte Cassie.
»Nein, du bist im Krankenhaus von Highcastle. Du bist seit fast zwanzig Stunden hier.«
Und weshalb bist du dann hier? hätte Cassie gern gefragt, doch sie brachte die Energie für diese Worte nicht auf.
Als sie das nächste Mal erwachte, stand Chris am Fenster und schaute in die Dämmerung hinaus.
»Was geschieht mit deinen Patienten?« fragte sie. Kein
Hallo
, kein
Schön, dich zu sehen
, kein …
»Ich bin gerade bei einer meiner Patientinnen.«
»Augusta Springs hat keinen Arzt?«
»Im Moment hat Augusta Springs keinen Arzt.« Dieser Umstand schien ihn nicht zu stören.
»Warren? Mary?«
Sie mußte die Worte aus seinem Mund hören.
»Sie sind beide tot. Ihre Leichen sind bereits nach Augusta Springs zurückgebracht worden.«
Cassie schloß die Augen wieder. Sie durfte gar nicht daran denken. Drei Menschen waren tot, und sie war am Leben. Warum nur?
»Tu dir das jetzt bloß nicht an.« Chris’ Stimme drang in ihr Bewußtsein vor.
Sie schlug die Augen wieder auf. »Was?«
»Dich schuldbewußt zu fühlen. Überleg dir jetzt bloß nicht, du hättest statt dessen tot sein sollen. Das ist reiner Unsinn.«
Er hatte einen Arm an die Wand gelehnt, die Beine übereinandergeschlagen und starrte sie vom anderen Ende des Raumes an.
»Das habe ich doch gar nicht gedacht.«
»Nein, aber du könntest es dir ohne weiteres denken. Das ist nur allzu verbreitet. Es
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