Wer den Himmel berührt
vorher nie einen richtigen Schatz. Ich habe sie bei einer Gemeindeveranstaltung kennengelernt, und sie war das schüchternste Mädchen von allen und hat abseits gesessen, während alle anderen geflirtet und getanzt haben. Das hat mich angesprochen. Wir haben angefangen, uns miteinander zu treffen und das Übliche zu tun: Wir sind ins Kino gegangen, Schlittschuh gelaufen, an den Strand gefahren. Ihre Familie hat mich sonntags nachmittags zum Kaffee eingeladen. Ihre Eltern waren noch steifer, als ich es mit der Zeit geworden bin, und sie haben selten gelächelt, aber ihrem Vater hat die Vorstellung gefallen, daß ich später einmal Arzt würde.
Isabel hat mir gesagt, daß sie Städte haßt, daß ihr vor ihnen graust. Sie hat gesagt, daß sie Kinder liebt, und ich wollte natürlich Kinder haben. Ich war rasend vor Verlangen nach ihr. Aber wir haben einander kaum angerührt. Also, ich meine, sie hat mich überhaupt nicht angerührt und sich nur selten von mir anfassen lassen, aber das war mir recht. Ich fand, sie sei liebreizend und jungfräulich, und ich habe geglaubt, sie wollte ihre Jungfräulichkeit für die Ehe bewahren, du weißt schon, dieser alte Hut. Ich hatte Schwierigkeiten, nachts einzuschlafen, weil ich sie rasend begehrt habe.
Wie so viele Menschen in diesem Alter oder vielleicht in jedem Alter habe ich meine Gefühle mit meinen Drüsen verwechselt. Ich glaube, das ist der Grund, aus dem so viele heiraten. Und genau das haben wir dann auch getan. An dem Tag, nachdem ich mein Medizinstudium abgeschlossen hatte, haben wir geheiratet, anschließend habe ich ein Jahr lang meine Klinikausbildung absolviert, und dann sind wir nach Augusta Springs gegangen, und zu dem Zeitpunkt wußte ich bereits, daß ich einen gigantischen Fehler gemacht hatte.«
Cassie starrte ihn an.
»Cassie, ich habe Isabel nie geliebt. Von Anfang an nicht. Ich habe sie geheiratet, weil ich mit ihr ins Bett gehen wollte, und ihr war im Bett jede einzelne Sekunde ein Greuel. Wenn ich versucht habe, sie zu küssen, ist sie zurückgewichen und hat gesagt: ›Ich kann diese gräßlichen nassen Küsse nicht ausstehen. Es ist einfach widerlich.‹ Wenn ich zaghaft versucht habe, sie zu berühren, hat sie meine Hand weggestoßen und gesagt: ›Laß das sein. Ich kann das nicht ausstehen.‹ Sie hat starr und regungslos im Bett gelegen. ›Um Himmels willen, bring es schon hinter dich‹, hat sie ausgerufen. Mit dieser Haltung konnte ich natürlich nichts anfangen.
Wochen und Monate sind vergangen, in denen wir einander nie auch nur angerührt haben, noch nicht einmal im Bett. Wir haben so weit wie möglich voneinander entfernt geschlafen, bis ich von rasendem Verlangen getrieben war, nicht unbedingt nach ihr, sondern eher nach irgendeiner Frau, irgend jemandem. Und eines Nachts habe ich Isabel dann genommen und ihr weh getan, und es war mir vollkommen egal. Meine Güte, wir waren fast ein Jahr verheiratet.«
Seine Stimme bebte so sehr, daß Cassie glaubte, er würde gleich weinen. Sie nahm seine Hand.
»Sie hat mich mit einem Ausdruck angesehen, den ich nur als Haß beschreiben kann, und sie hat gesagt: ›Das möchte ich nie wieder durchmachen!‹ Wir haben nie mehr miteinander geschlafen. Wir sind nie wieder zusammengekommen, in zweiundzwanzig Jahren nicht.«
Cassie saß mit offenem Mund aufrecht im Bett. »Nie mehr? In all den Jahren nie mehr wieder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nie mehr. Tätest du das? Würdest du jemanden wollen, der sich dir gegenüber so verhält? Aber weißt du, was? Sie hat sich benommen, als stürzte ich mich auf jede Frau, die mir über den Weg lief. Sie war eine unglaublich eifersüchtige Person. Mehrmals im Jahr hat sie mich angeschrien wie eine alte Hexe, und sie hat Dinge nach mir geworfen und mir Affären unterstellt.«
»Chris, willst du mir damit sagen, daß du seitdem nie mehr mit jemandem geschlafen hast, seit du zwei- oder dreiundzwanzig warst?«
»So neurotisch bin ich nun auch wieder nicht. Klar, wenn ich zu einer Konferenz in eine Stadt gefahren bin, habe ich mir jemanden gesucht. Prostituierte. Meinem Selbstbewußtsein hat das nicht allzu gut getan, das muß ich schon zugeben. Jemanden dafür zu bezahlen, mit mir zu schlafen, weil meine Ehefrau es nicht zuläßt.«
»Warum hast du eine solche Situation so lange hingenommen?«
Er zuckte die Achseln. »Mangelnder Mumm. Weil Scheidungen mißbilligt werden. Nette Ärzte lassen sich nicht scheiden. Weil ich geglaubt habe, es müßte auch meine
Weitere Kostenlose Bücher