Wer den Himmel berührt
einen Vater für deine bislang noch ungeborenen Babys.«
»Tu mir das bloß nicht an, Fi.« Cassie schüttelte den Kopf. »Und außerdem kenne ich alle Männer in der ganzen Gegend. Es ist nicht ein einziger darunter.«
»Kein einziger?«
»Nun, jedenfalls keiner, der zu haben ist.«
Vielleicht sollte sie umziehen, woanders hingehen. Eine Privatpraxis eröffnen. Neue Leute kennenlernen. Ein neues Leben beginnen. Schließlich hatte sie schon ein ganzes Jahrzehnt in Augusta Springs verbracht.
Nächste Woche würde sie sich in Sydney umsehen.
51
D arauf habe ich mich schon gefreut«, sagte Steven, als er sich neben Cassie setzte. »Ich bekomme nie genug von dir zu sehen.«
Auch Cassie gefiel diese Vorstellung.
»Wie lange ist es her«, fragte er, als er sich anschnallte, »seit du das letzte Mal aus Augusta Springs rausgekommen bist?«
In den fast elf Jahren, die sie hier verbracht hatte, war sie nur wenige Male wirklich aus der Stadt herausgekommen. Sie war mit Blake in Kakadu gewesen. Hatte einen Monat in Adelaide verbracht, um das Fliegen zu lernen. War vor drei Jahren zum Begräbnis ihres Vaters in Sydney gewesen.
»Das war vor drei Jahren.«
»Für mich ist es noch länger her. Blake fliegt durch das ganze Land, aber ich verspüre kein Verlangen, etwas anderes als Tookaringa zu sehen. Oder wenigstens nichts, was weiter entfernt ist als Augusta Springs.«
Die Stewardeß fragte, ob es ihm nicht vielleicht lieb wäre, wenn sie seinen Stetson verstaute. Er grinste. »Ich komme mir jetzt schon vor, als hätte ich Urlaub. Ehe ich es vergesse, Fiona hat gesagt, ich soll unbedingt daran denken, es dir zu erzählen. Letzte Woche ist etwas ganz Unglaubliches passiert.«
Cassie sah sich um. Ein großes Linienflugzeug war so ganz anders als alles, was sie gewohnt war.
»Als ich das erste Mal nach Augusta Springs gekommen bin«, sagte sie, »hat mich die Reise dreieinhalb Tage gekostet. Jetzt sind es nur noch ein paar Stunden.«
Steven nickte und wollte ihr ganz offensichtlich seine Geschichte erzählen. »Fiona und ich haben letzten Mittwoch auf der Veranda gesessen. Oder war es am Donnerstag? Das spielt keine Rolle. Wir haben vor meinem Haus gesessen und Limonade getrunken. Es war etwa vier Uhr nachmittags, und auf der Straße haben wir eine Frau mit einem langen Kleid und einer Teppichtasche auf uns zukommen sehen. Wir haben weitergeredet, aber dabei haben wir beide diese Gestalt angesehen, die immer näher gekommen ist, und wir haben uns gefragt, ob es sich um eine Fata Morgana handelt. Hitzewellen sind flimmernd aus der Erde aufgestiegen, du weißt ja, wie das ist, und wir mußten uns fragen, ob diese Gestalt wirklich da ist. Niemand kommt zu Fuß zu uns. Schon bald darauf haben wir aufgehört, miteinander zu reden, und wir haben einfach nur das angestarrt, was eine Erscheinung zu sein schien, ein Geist. Die Frau trug viktorianische Kleider und hielt einen Sonnenschirm in der Hand, der die Farbe ihres Kleides hatte, grau. Sie hatte eine hochgeschlossene weiße Rüschenbluse an und einen riesengroßen Hut auf, von der Sorte, wie man sie in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts getragen haben muß. Er war unter dem Kinn zugebunden, und ich dachte, gleich schmettert sie ein Liedlein.« Er lachte. »Vielleicht wie Betty Grable in einem ihrer Filme.«
Da sie jetzt in der Luft waren, kam die Stewardeß auf sie zu und nahm ihre Bestellungen für Getränke entgegen.
»Als wir ganz sicher waren, daß sie auf uns zukam, auf die Veranda zuging, haben wir einander angesehen, und dann sind wir beide aufgestanden, sind zu den Stufen gelaufen und ihr entgegengegangen. Sie hatte blondes Haar, das sie unter ihrem Hut hochgesteckt hatte, und die blauesten Augen, die ich je gesehen habe, aber dort draußen im Busch hat sie in Kleidern, die vor mehr als fünfzig Jahren in Mode gewesen sein müssen, wahrhaft seltsam gewirkt.«
Cassie fragte sich, ob er das alles frei erfand, aber er war derart begeistert und malte ein so lebhaftes Bild, daß sie ihm glauben mußte. »Wie alt war sie?«
Steven zog die Augenbrauen hoch. »Ich schätze, Mitte Vierzig. Sie hat uns zugenickt und ein Taschentuch aus der Manschette ihres Ärmels gezogen, aus dieser langärmeligen Jacke, und damit hat sie sich den Schweiß von der Stirn gewischt. Sie hat Fiona gefragt, ob sie Mrs. Thompson sei. Fiona hat ja gesagt und sie gefragt, ob sie vielleicht ein Glas Limonade trinken möchte. Sie hat gesagt, das klänge einfach wunderbar, und
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