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Wer den Himmel berührt

Wer den Himmel berührt

Titel: Wer den Himmel berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bickmore
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oder doch?«
    Nein, ganz bestimmt nicht. Und zum großen Erstaunen ihres Vaters absolvierte sie das College in Georgetown in Rekordzeit und mit hohen Auszeichnungen. Ihre Mutter hätte das nicht gewundert.
    Jeden Sommer fuhr sie allein zurück zu ihren Großeltern. Sie nahm den Zug, der sie innerhalb von fünf Tagen quer durch das Land nach San Francisco brachte, und sie liebte jede einzelne Minute der zehn Tage, die das Schiff brauchte, um Sydney zu erreichen. Jeden Sommer hatte sie eine kurze und glimpfliche Romanze – das war der einzige Zeitpunkt, zu dem sie Männern Zutritt zu ihrem Gefühlsleben gewährte. Sie hatte schon vor langer Zeit beschlossen, daß kein Mann und keine Heirat sie von ihrem Weg abbringen würden. Doch sie gestattete sich Romanzen an Bord, da sie ihren endgültigen Abschluß fanden, wenn das Schiff im Hafen von Sydney einlief. Das riesige viktorianische Haus ihrer Großeltern mit seinen vier Stockwerken und dem Dachgesims, das es wie ein Lebkuchenhaus wirken ließ, war der einzige Ort, an dem sich Cassie je zu Hause gefühlt hatte. Es bildete die einzige Konstante in ihrem Leben. Dort fand sie bedingungslose Liebe, wenn auch nicht immer Beifall. Das einzige, was ihre Großeltern beide mißbilligten, war ihr Entschluß, Ärztin zu werden. »Damen stochern nicht in den Körpern von Männern herum«, flüsterte ihre Großmutter mit angewidertem Gesichtsausdruck.
    »Und was ist damit, daß Männer in die Körper von Frauen hineinschauen?«
    »Das ist etwas anderes.«
    Doch sie konnten ihrer Entschlossenheit keinen Dämpfer verpassen. Ihr Großvater forderte sie eines Nachmittags auf, mit ihm in sein Gewächshaus zu kommen, und dort sagte er zu ihr: »Weißt du, was du brauchst? Du solltest nach Hause zurückkommen und zulassen, daß du ein paar nette Männer kennenlernst. Du bist zu lange im Ausland gewesen.« Er arbeitete mit einer Pinzette und versuchte, eine Orchidee durch Fremdbestäubung zu befruchten. Schon seit seiner Pensionierung galt seine Leidenschaft den Orchideen.
    »Ich werde nach Hause kommen, Großpapa, aber nicht, um zu heiraten.« Der Anblick ihrer Mutter, die so viele Monate lang Schmerzen gehabt hatte, stand ihr immer noch ständig vor Augen.
    Kurz nach ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag machte sie ihr Examen an der Johns-Hopkins-Universität für Medizin. Es waren vier harte Jahre gewesen. Sie hatte sich dem Druck ausgesetzt gefühlt, ihre Sache besser zu machen als die Männer, um den Beweis zu erbringen, daß Frauen als Mediziner ebenso fähig waren wie ihre männlichen Berufskollegen. Sie hatte damit fertig werden müssen, daß ihr obszöne Streiche gespielt wurden. Im Anatomieunterricht war sie die Zielscheibe des Spotts gewesen. Sogar die meisten ihrer Professoren behandelten sie so, als hätte sie dort nichts zu suchen. Aber sie konnten nichts unternehmen, um sie von ihrem Studium abzuhalten. Ihr Examen bestand sie als eine der Besten ihres Jahrgangs, unter den ersten fünf Prozent, doch der Weg dorthin war mühselig. Die Männer, von denen sie dort umgeben gewesen war, waren grausam, unfreundlich und machtgierig. Sie stellten deutlich klar, daß sie widerrechtlich in eine Domäne eindrang, die sie für eine reine Männerwelt erachteten.
    Es gab eine einzige andere Frau in ihrem Jahrgang, und sie freundeten sich miteinander an, weil ihre Ziele und ihre Probleme dieselben waren, doch im übrigen hatten sie keinerlei Ähnlichkeit miteinander. An dem Tag, an dem sie ihren Abschluß machte, teilte Cassie ihrem Vater mit: »Ich gehe zurück nach Australien.« Nach Hause.
    Zu dem Zeitpunkt waren ihre Großeltern bereits beide gestorben.
    Ihr Vater rief Norm Castor an. Er verbürgte sich für sie, und mit ihren einwandfreien Zeugnissen von der Johns-Hopkins-Universität verbrachte Cassie sechs Monate im Victoria-Entbindungskrankenhaus, entband Frauen von ihren Babys und führte Kaiserschnitte und Ausschabungen durch. Dann deichselte Dr. Castor es so, daß sie in die Notaufnahmestation im Krankenhaus von Melbourne versetzt wurde.
    Cassie stellte fest, daß sie sich in ihrem eigenen Land als Fremde empfand. Nach zwanzig Jahren im Ausland sprach sie nicht wie eine Australierin, sie war es nicht gewohnt, auf der Straßenseite zu fahren, die sie als die falsche ansah, und sie dachte noch nicht einmal wie eine Australierin. Sie war weit mehr Amerikanerin als Australierin, und doch war sie nie wirklich als Amerikanerin angesehen worden, weil sie Australierin war. Sie fragte

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