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Wer den Himmel berührt

Wer den Himmel berührt

Titel: Wer den Himmel berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bickmore
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die Abende an den Wochenenden ausschließlich aus gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die eine oder andere Botschaft veranstaltete immer eine Party. Ständig wurden ihre Eltern von wichtigen Leuten zum Abendessen eingeladen. Die Sonntage waren jedoch ganz der Familie vorbehalten, es sei denn, ihr Vater mußte dabei behilflich sein, eine Lösung für eine Krisensituation zu finden. Zu dritt unternahmen sie an den Sonntagnachmittagen Ausfahrten und erkundeten die Landstraßen in der näheren Umgebung von London. Und auf dem Heimweg hielten sie immer in einem Dorf an und aßen im Pub. »Nur so lernt man die einfachen Leute kennen«, hatte ihr Vater jedesmal gesagt.
    Sie haßte die Fleischpasteten mit Nieren, von denen er schwärmte, aber sie liebte seine Gesellschaft. Er war witzig, geistreich und charmant. Ihre Mutter war sehr schön und im allgemeinen sehr still. Nicht ein einziges Mal hörte Cassie ihre Eltern miteinander streiten; nie hörte sie, daß ihre Mutter ihrem Vater widersprach, und der einzige Vorwurf, den sie ihm machte, war der, er arbeitete zu hart. Oft fragte sich Cassie, wie ihre Mutter es fertigbrachte, den Mund zu halten. Hatte sie denn überhaupt keine eigene Meinung? Ihre Mutter lachte über die Witze ihres Vaters, selbst dann noch, wenn sie sie schon hundertmal gehört hatte.
    Die Höhepunkte in Cassies Leben hatten sich auf Schiffen und im Hause ihrer Großeltern abgespielt. Sie liebte den Sommer. Sie liebte die Reisen, die sie und ihre Mutter unternahmen, erst von San Francisco nach Sydney und dann von London aus durch den Suezkanal und den Indischen Ozean. Mehrfach hielt ihr Schiff über Nacht in Bombay und Kalkutta an, und Cassie und ihre Mutter durchstreiften die Straßen, obwohl man ihnen sagte, das sei gefährlich. Sie aßen in eleganten Hotelrestaurants zu Abend, und ihre Mutter kaufte Stoff für einen Sari, den sie dann in London zu förmlichen Anlässen trug. Ihre Mutter war im Sommer ein anderer Mensch – sie lachte öfter und wirkte jünger. Sie sagte zu Cassie, sie solle anfangen, sich Gedanken über eine spätere Karriere zu machen.
    »Laß deinen Horizont nicht durch die Bindung an einen Mann festlegen«, hatte sie gesagt.
    »Bist du denn nicht glücklich?«
    Ihre Mutter hatte einen schnellen Blick auf sie geworfen, und ihre Augen waren unergründlich gewesen. »Natürlich bin ich glücklich. Aber du gehörst einer neuen Generation an. Du kannst mit deinem Leben mehr anfangen, als es aus zweiter Hand über einen Ehemann und Kinder zu erleben.«
    Mit ihren damals vierzehn Jahren war Cassie nicht sicher, wie ihre Mutter das meinte.
    Als Cassie sechzehn wurde, bekam ihre Mutter Krebs, und Cassie sah zu, wie sie dahinsiechte; ihre schmerzerfüllten Augen fraßen sich in Cassies Herz. Es gab nichts, was für sie getan werden konnte, und selbst die Schmerzen ließen sich zum großen Teil nicht lindern. Die einzige Hilfe bestand im Morphium.
    Eines Tages nahm ihre Mutter Cassies Hand und sagte mit schwacher Stimme: »Was ich am meisten bedaure, ist, dich zu verlassen. Ich werde nicht mehr dasein und deinen Erfolg erleben dürfen. Ich werde nicht dasein, um dich anzuspornen. Ich werde nicht dasein, wenn … o Cassie, ich werde nicht für dich dasein.« Bei diesen Worten brach sie in Tränen aus.
    »Weißt du was, Mama? Ich werde Ärztin werden. Ich werde dafür sorgen, daß Menschen nicht mehr solche Schmerzen haben müssen, wie du sie hast, und ich werde Menschen dazu verhelfen, daß sie sich wohler fühlen.«
    Die Augen ihrer Mutter leuchteten. »Ärztin? Meine Tochter, eine Ärztin? Oh, es gibt keinen Grund, aus dem du das nicht werden könntest. Du kannst alles werden, was du willst, aber das ist einfach wunderbar! Ärztin. Das gefällt mir. O ja, das gefällt mir sehr gut.«
    Von dem Moment an kamen nie mehr Zweifel in Cassie auf. Und schon gar nicht, nachdem ihre Mutter gestorben war, und noch nicht einmal dann, als ihr Vater versuchte, es ihr auszureden.
    Inzwischen war er Botschafter in den Vereinigten Staaten geworden, und gemeinsam hatten sie sich in dem Haus in Georgetown eingerichtet, das viel zu groß für sie war. »Aber darüber brauchen wir uns jetzt nicht zu streiten«, sagte er. »Frauen werden keine Ärzte, Cassie. Krieg das in deinen Dickschädel. Aber geh ruhig ins College – das hatten wir schon immer geplant. Wir werden sehen, ob wir dich in Georgetown im College unterbringen können, damit du bei mir wohnen kannst. Du willst mich doch nicht etwa allein lassen,

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