Wer den Himmel berührt
Dann könnten Sie am Freitag nachmittag in Tookaringa Ihre Sprechstunde abhalten und am Samstag in Winnamurra sein, der Abo-Mission. Dort gibt es kein Telefon, aber ich kann einen Reiter rüberschicken, der der Missionarin Bescheid gibt, damit sie Sie erwartet und die Kranken und Gebrechlichen zusammentrommelt. Sie beide können dann für weitere Monate ein Schema ausarbeiten. Ich kann mir gut vorstellen, daß eine ganze Reihe Ihrer Routinebesuche Sie zwingen wird, über Nacht zu bleiben. Sie werden über Funk mit Horrie in Verbindung bleiben können, falls Soforthilfe gebraucht wird, aber sogar auch für Ihre täglichen drei Fragestunden. Jedenfalls werden wir am Samstag abend ein Barbecue veranstalten und Leute einladen, damit sie Sie kennenlernen. Sie können am Montag am frühen Morgen aufbrechen und zum AIM -Hospital in Yancanna fliegen und dort den Kontakt zu den Schwestern aufnehmen.«
»Ich finde, das klingt gut.« Cassie fragte sich, ob der Kaffee wohl gegen ihre Kopfschmerzen helfen würde. Hatte sie gestern abend wirklich so viel getrunken?
»Wir glauben, daß es eine Weile dauern wird, bis diese Leute sich an eine Frau gewöhnen, Doktor«, fuhr Steven fort. »Wir werden tun, was wir können, um Ihnen zu helfen. Wir brauchen dringend einen Arzt hier oben.«
Die Kellnerin brachte den Kaffee. Cassie trank ihn schwarz.
»Ich versichere Ihnen, Sie werden feststellen, daß hier die freundlichsten Menschen auf Erden leben«, sagte Jennifer. »Ich konnte es kaum glauben, als ich damals hierhergekommen bin.«
»Woher kommen Sie?« Cassie wandte sich zu der schönen Frau um und sah sie an.
»Aus Cambridge«, erwiderte sie mit einer klaren und melodischen Stimme. »Das heißt, aus England. Dort habe ich Steven kennengelernt.« Sie sah ihn mit strahlenden Augen an, und Cassie konnte deutlich wahrnehmen, daß die beiden noch ineinander verliebt waren.
»Wie haben Sie einander in England kennengelernt?«
Steven schüttete seinen Kaffee schnell in sich hinein und bedeutete der Kellnerin, Nachschub zu bringen. »Ich habe drüben die Universität besucht. Meine Mutter hat darauf beharrt, daß ich eine anständige Ausbildung bekomme, aber mir war jede einzelne Minute zuwider. Ich wollte hier sein, Rinder zusammentreiben, Herden bewachen und Sonnenuntergänge beobachten und nicht in der Klaustrophobie der Städte eingepfercht sein, von Bäumen und Zäunen eingeengt. Ich bin nur zwei Jahre dort geblieben, gerade lange genug, um Jenny dazu zu überreden, daß sie mit mir hierher zurückging.«
Die Kellnerin brachte ihnen Steaks und Eier und einen Berg von Toast.
Cassie fragte: »Dann kommen Sie also nicht aus England?«
Steven schüttelte den Kopf. Das Essen hinderte ihn nicht am Reden. »Ich bin hier geboren. Meine Mutter ist Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts aus England hergekommen, als Gouvernante für eine Familie, ein paar hundert Meilen südlich von hier. Einer der jungen Viehtreiber dort hat sie gesehen. Ein Blick hat genügt, und schon war es um ihn geschehen. Daraufhin hat er beschlossen, als Viehtreiber aufzuhören und sich ein Gehöft zuzulegen. Also haben sie sich ein paar Morgen Land oben im Norden gekauft, eine Hütte mit einem Wellblechdach hingestellt und sich ein paar Rinder zugelegt. Ich habe noch Bilder davon. Man hätte nie geglaubt, daß sie das erste Jahr überstehen würden, ganz zu schweigen von mehr als einem halben Jahrhundert.«
Cassie lächelte. Das Essen half gegen ihre Kopfschmerzen, und allmählich fühlte sie sich etwas besser.
Jennifer beugte sich vor. »Wir brauchen hier ganz dringend einen Arzt. Wenn wir vor fünfundzwanzig und vor dreißig Jahren einen Arzt gehabt hätten …« Tränen stiegen in ihre Augen, flossen jedoch nicht. »Wir haben heute nur noch dieses eine Kind. Blake ist neunundzwanzig …« Ihre Stimme versagte.
Steven nahm die Hand seiner Frau. »Wir haben fünf Kinder verloren, darunter zwei durch Fehlgeburten.« Cassie gefiel es, daß er »wir« sagte, als er von Fehlgeburten sprach. »Als Jenny zum dritten Mal schwanger war, habe ich sie dann endlich in die Stadt geschickt, damit sie einen Arzt in der Nähe hatte. Und genau das haben wir dann auch die beiden nächsten Male getan.«
»Wenn wir hier oben einen Arzt gehabt hätten, nun, da wir jetzt einen haben, brauchen vielleicht nicht noch mehr Frauen durchzumachen, was wir durchgemacht haben.« Jennifer sah Cassie an. »Ein weiteres Kind ist uns an Masern gestorben, und ein anderes …
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