Wer den Tod ruft: Thriller (German Edition)
Augen erkannte Elaina erste Anzeichen von Angst.
»Noah wandert gern. Das weiß ich. Zwei Zeugen haben ihn vorige Woche im Laguna-Madre-Nationalpark gesehen. Einen Tag, nachdem die junge Frau als vermisst gemeldet worden war. Er war nicht allein.«
Jamie schluckte, ihre Anspannung wuchs.
»Er ist jemand, an den man sich gut erinnert«, sagte Elaina. »Wahrscheinlich wegen seiner Frisur. An dem Tag, an dem die Leiche des niedergemetzelten Mädchens im Yachthafen abgeladen wurde, habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Auch da war er nicht allein. Sie waren bei ihm.«
»Ich habe nichts Falsches getan.«
Elaina sah sie an. »Aber auch nichts Richtiges. Habe ich recht?«
Ein trotziger Blick war Jamies Antwort. Elaina wechselte die Taktik. »Wie alt sind Sie?«
Sie zögerte einen Augenblick. Wahrscheinlich war ihr Elainas Themenwechsel nicht geheuer. »Dreiundzwanzig.«
»Dann sind Sie zwei Jahre älter als Gina Calvert. Sie wissen doch, wer das ist?«
Das Feindselige in ihrem Blick verschwand. Elaina sprach weiter. »Gina hat Volleyball gespielt wie Sie. Wahrscheinlich genau hier, am selben Strand. Dann ist sie verschwunden. Wissen Sie, was ihr passiert ist?« Elaina machte eine kurze Pause und sah ihr in die Augen. »Es war so schrecklich, dass man es vor der Öffentlichkeit verschwiegen hat. Haben Sie das gewusst? Wie haben sich wohl ihre Eltern gefühlt, als sie erfahren haben, was man ihrem kleinen Mädchen angetan hatte? Können Sie sich das vorstellen?«
Jamie sah über die Schulter zu ihren Freundinnen. Sie wollte zu ihnen zurück. »Hören Sie, ich muss dringend …«
»Wir können unser Gespräch auch in meinem Büro fortsetzen«, sagte Elaina. »Das liegt ganz an Ihnen.«
Dumpfe Tanzrhythmen dröhnten aus den Lautsprechern und ließen die Sessel vibrieren. Elaina wartete.
»Wir haben einen Ausflug gemacht«, sagte Jamie schließlich.
»Wohin?«
»Da gibt es einen Weg. Der führt an den Tümpeln, in denen sich die Alligatoren herumtreiben, vorbei.«
»Wann war das?«
Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Jamie biss sich auf die Lippen. »Am fünfzehnten Juni. Gegen eins. Aber wir haben nur einen Ausflug gemacht. Damit das klar ist: Wir haben sie nicht dahin gelegt.« Jamie senkte den Kopf und fuchtelte an ihrem Armband herum. Eine lange Pause entstand, die Elaina aber nicht beenden wollte.
»Ich hätte die Polizei früher anrufen müssen. Das ist mir klar«, sagte Jamie nach einer langen Weile. Ihre Stimme zitterte. »Aber wir hatten Angst. Ist doch klar. Auch Sie hätten Angst gehabt.«
»Ja, das hätte ich.«
Jamie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie … Wer kann so etwas einem Menschen antun? Nicht mal ein Tier würde … Ich begreif’s nicht.« Sie fröstelte. »So etwas ist doch krank. Aber ich war’s nicht. Und Noah auch nicht.« Sie sah Elaina flehend an. »Sie müssen mir glauben. Er kann keinem Menschen etwas tun.«
»Sein Vorstrafenregister berichtet etwas anderes.«
Ein Pfiff ertönte. Das Volleyballturnier ging weiter. Ihr Team winkte ihr zu.
»Ich muss gehen.«
Elaina versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. Sie schien nervös und verängstigt, aber eine Tatbeteiligung traute sie ihr nicht zu. Ihr Freund Noah, das war ein anderes Kapitel. Aber Elainas Bauch sagte ihr, dass er nicht der Täter war. Einmal wegen seines Alters. Dann wegen seines Auftretens. Wer auch immer diese Verbrechen begangen hatte – dieser Kerl war clever und gerissen. Jemand, der die Polizei an der Nase herumführen konnte, weil er sein finsteres Metier virtuos beherrschte. Und Noah Neely? Der machte sich schon wegen eines Urintests in die Hose.
»Ich melde mich bei Ihnen«, sagte Elaina. »Wir brauchen mehr Informationen über das, was Sie an diesem Tag gesehen haben.«
Jamie nickte.
»Und bleiben Sie in der Stadt.«
Sie nickte wieder und stand auf. »Ich verstehe. Aber Noah war es nicht.« Sie spielte wieder an ihrem Armband herum, da entdeckte Elaina eine Libelle darauf. Ihr stockte der Atem.
»Was immer diesem Mädchen passiert ist – er hat nichts damit zu tun. Sie verdächtigen den Falschen.« Sie wollte gehen, doch Elaina packte ihr Handgelenk.
»Was ist das?«, fragte sie.
Jamie verzog das Gesicht. Elaina ließ ihren Arm los.
»Diese Libelle auf dem Armband. Hat sie eine Bedeutung?«
»Wieso? Was soll sie schon bedeuten?« Wieder ertönte ein Pfiff. Jamie wurde ungeduldig.
»Aber was …«
»Das ist nur ein Armband«, sagte sie, und schon war sie weg.
Troy
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