Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Yolande?“
Hélènes Stimme hat einen vielsagenden
Unterton. Ich hebe resignierend die Schultern.
„Yolande... tja... Ich wollte den ganz
Schlauen spielen. Und jetzt haben wir den Salat! Scheiße, Hélène. Warum hab ich
bloß nicht eingegriffen, als die Kerle sie sich in der Rue du Dobropol
geschnappt haben? Na ja, nicht mehr zu ändern. Wenn ich nur wüßte, wie die
Schweine aussehen!“
„Haben Sie sie denn nicht gesehen?“
Ich lache bitter auf.
„Oh, doch! Sie trugen Mäntel,
Schlapphut und wahrscheinlich jeder eine Armbanduhr. Und bewaffnet waren sie
auch. Sind es immer noch. Damit kann ich einiges
anfangen!“
„Tun Sie sich nicht selbst leid! Auch
wenn Sie eine genaue Beschreibung der beiden hätten, würde das nichts an
Yolandes Situation ändern. Die Flics sind jedenfalls benachrichtigt. Hoffen
wir, daß sie sie bald finden!“
Gut gebrüllt, Löwin! Aber
kopfschüttelnd balle ich die Fäuste.
„Nein!“ rufe ich. „Ich kann nicht
einfach abwarten. Und Tee mag ich auch nicht. Ich muß wissen, wer die Typen sind,
auch wenn es nicht viel nützt. Aber ich kann das arme Mädchen doch nicht ihrem
Schicksal überlassen...“
„Wo wollen Sie denn anfangen zu
forschen? Bei Dany Darnys?“
„Ach, die! Die konnte die Kerle auch
nicht beschreiben.
,Zwielichtige Gestalten“, mehr nicht.
Nein, Dany Darnys kann mir nicht weiterhelfen. Aber da ist diese Gräfin,
Huguette de Mèneval. Bei der waren die Männer ebenfalls. Sie kannten Yolande
demnach besser als Viénot. Wußten, daß sie in der Rue Rochefort wohnte und eine
Narbe am Innenschenkel hat.“
Hélène runzelt die Stirn.
„Zwielichtige Gestalten“, murmelt sie
nachdenklich, als hätte sie den Stein der Weisen gefunden. „Sagen Sie... Kein
Mensch weiß, wie Désiris sich das Kapital für seine Werkstatt besorgt hat,
stimmt’s?“
„Stimmt, aber das hat auch keinen
interessiert. Die Polizei zum Beispiel hat nur seinen Tod und den seiner Frau
festgestellt und ist zur Tagesordnung übergegangen.“
„Die Herkunft des Kapitals hat also
nur Madame Désiris beunruhigt. Deshalb wollte sie einen Privatdetektiv engagieren...“
„Langsam, langsam! Sie hat zwar am
Telefon davon gesprochen, aber für mich war es nur ein Vorwand. Überlegen wir
mal: Désiris besaß das Geld nicht erst seit vorgestern. Seine Werkstatt auf der
Île de la Grande-Jatte hatte schon mehrere Monate existiert.“
„Seit wann?“
„Keine Ahnung. Scheiß was auf das
Startkapital! Ich sage Ihnen, Madame Désiris hat den erstbesten Vorwand
genommen, um mich zu der Verabredung zu locken. Ich glaube, daß sie vor ihrem
Mann Schiß hatte. Vielleicht hat sie sogar Wind von dem Mord in der Baracke
bekommen. Ich sollte den Fall aufklären und sie beschützen. Désiris hat
vielleicht gelauscht, als sie mit mir telefoniert hat. Er hat den Kerl in der
Baracke umgebracht. Auf einem Bein kann man nicht stehen. Er bringt seine Frau
um. Alle guten Dinge sind drei. Er bringt sich selbst um. So entgeht er den
Folgen seines Doppelmordes.“
„Ich komme trotzdem noch mal auf das
Kapital zurück. Wenn Désiris irgendein Verbrechen begangen hätte, um an das
Geld zu kommen? Zusammen mit den Kerlen, die Yolande entführt haben, diesen
zwielichtigen Gestalten’...?“
„Désiris als Gangster?“
„Warum nicht?“
„Tja“, seufze ich. „In diesen
herrlichen Zeiten überrascht einen nichts mehr. Aber trotzdem... Na gut, nehmen
wir an, Désiris war im Nebenberuf Gangster. Gangster und Genie. Er räumt eine
Bank aus, zusammen mit Komplizen. Danach arbeitet er in aller Ruhe an seiner
Erfindung. Wird dadurch das Verhalten der angenommenen Komplizen erklärt?
Vorausgesetzt, diese Komplizen sind dieselben Männer, die Dany Darnys
überfallen, Huguette de Mèneval erschreckt und Yolande schließlich entführt
haben...“
„Natürlich! Die Männer suchen etwas.“
„Und was, wenn ich fragen darf?“
„Dasselbe wie Viénot: die Pläne für
die revolutionäre Erfindung!“
Ich schwinge protestierend meine
Pfeife.
„Nein, Hélène. Die gehören nicht zu
den Leuten, die sich für so was interessieren. Die wollen Geld sehen, und zwar
sofort...“
„Ja, warum nehmen wir nicht einfach
an, daß es um Bargeld geht?“
Hélène ist ganz aufgeregt und reibt
ihre Beine aneinander. Dadurch rutscht der Rocksaum ein paar Zentimeter höher.
„Désiris überfällt eine Bank“,
kombiniert sie. „Komplizen helfen ihm dabei. Sie gehören zur Unterwelt, sind
der Polizei bekannt und werden
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