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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Gesellschaftsleben.
    Zuerst plaudern wir über die „jungen
Mädchen aus der Rue du Dobropol“, für die meine Gastgeberin beinahe zärtliche
Gefühle hegt („Die lieben Mädchen! Sie sind für mich wie Töchter...“). Dann
erfahre ich, daß sich Désiris kurz vor seinem „fatalen Entschluß“ (allerdings!)
sehr seltsam benommen habe.
    „Wieso seltsam?“
    „Na ja... Monsieur Désiris war ein
sehr liebenswürdiger Mann, immer höflich und zuvorkommend. Und plötzlich, eines
Tages, ließ er sich hinreißen. Schäumte anscheinend vor Wut...“
    „Anscheinend? Haben Sie das denn nicht
selbst miterlebt?“
    „Nein. Ich war kurz verreist und hab’s
erst hinterher gehört. Monsieur Désiris hatte sich wieder beruhigt, aber wütend
war er immer noch. Ich wartete förmlich darauf, daß er mich beschimpfen würde.
Wie der mich ansah! Wenn Blicke töten könnten... Yolande hat nichts gesagt,
aber ich glaube, er ist ihr gegenüber handgreiflich geworden. Jedenfalls hat er
eine Nippfigur an die Wand geschmissen. Zum Glück hab ich nicht sehr dran
gehangen. Dabei ist aber ein Bild beschädigt worden...“
    Ich drehe mich zu dem Porträt um.
    „Nicht das!“ sagt Madame de Mèneval.
„Gott sei Dank! Eins von denen da oben.“ Sie zeigt in Richtung Decke. „Aber
trotzdem, glücklich war ich nicht darüber. Immerhin ein Kunstgegenstand. Ein
Selbstporträt von Frédéric Langlat. Haben Sie mal von ihm gehört?“
    „Nein.“
    „Er hat das Haus hier bauen lassen.
Dann hat’s Baron Eustache erworben, und später...“
    „...wurden Sie die Besitzerin?“
ergänze ich.
    „Ja. Damals wußte man noch zu
leben...“, seufzt sie.
    Ich nicke höflich. Sie setzt zu den
Biographien ihrer verschiedenen Liebhaber an. Da mich aber Langlat, Eustache und
Konsorten nicht interessieren, unterbreche ich sie:
    „Also, an einem bestimmten Tag hat
sich das Verhalten von Monsieur Désiris verändert. Wann war das genau?“
    „Anfang März.“
    „Mit anderen Worten, kurz bevor er...“
    „Ja.“
    „Er wurde also wütend, was nicht seine
Art war.“
    „Ganz und gar nicht.“
    „Und wie war er danach?“
    „Weiß ich nicht. Wir hatten nicht viel
miteinander zu tun. Ich hab ihnen die beiden Etagen vermietet, mit separatem
Eingang vom Garten aus. Monsieur Désiris hab ich nur selten zu Gesicht bekommen.
Jedenfalls fiel nichts weiter mehr vor, und Yolande hat nichts erzählt, wie
gesagt. Tja, und dann... tja...“ Der Satz wird von einem tiefen Seufzer
beendet. Ich spreche die nackte Wahrheit aus:
    „Ja, und dann hat er sich umgebracht.“
    Wir legen eine Schweigeminute ein.
Fehlt nur noch der Trauermarsch.
    „Kramen Sie doch mal in Ihrem
Gedächtnis, Frau Gräfin“, beginne ich schließlich wieder. „Hat sich Désiris
nicht früher schon hin und wieder seltsam benommen?“
    „Nein, das war das einzige Mal.“
    Ich fasse in meine Hosentasche und
knistere mit weiteren Geldscheinchen. Auch wenn Mutter Mèneval alt ist, taub
ist sie nicht. Jedenfalls wird sie hellhörig.
    „Na ja“, tastet sie sich behutsam vor,
„da ist noch diese Geschichte mit der Unterwäsche... Aber nein, ich glaube
nicht, daß das von Bedeutung ist.“
    „Erzählen Sie nur! Ich liebe
Unterwäsche.“
    „Es handelt sich um
Herrenunterwäsche.“
    „Oh, das ist schon weniger aufregend.
Aber macht nichts, erzählen Sie.“
    „Mein Dienstmädchen hat es entdeckt,
kurz nach dem Wutanfall von Monsieur Charles. Ich konnte ihn nicht mehr zur
Rechenschaft ziehen. Na ja, Rechenschaft ist vielleicht zuviel gesagt. Aber er
sollte mir das erklären... Zwei ganz neue Unterhemden als Lappen zu
mißbrauchen! Aber wie gesagt, Monsieur Charles war schon... hatte schon...“
    „...Schluß gemacht, ja.“
    „Auch Yolande hab ich nichts davon
gesagt. Sie war so durcheinander, die Kleine!“
    „Glaub ich wohl. Was hat Ihr
Dienstmädchen denn entdeckt?“
    „Unter der schmutzigen Wäsche waren
zwei Hemden mit dunklen Flecken... Sah aus wie Blut... „
    Ich sage nichts, denke mir aber meinen
Teil. So langsam werde ich mißtrauisch. Die Gräfin will mir etwas zuviel bieten
für mein Geld.
    „Blut?“ hake ich nach.
    „Ja. So als hätte jemand Blut
abgewischt.“
    „Aber hören Sie mal! Désiris konnte
doch nicht einfach jemanden umbringen, hier im Haus, ohne daß Sie und Yolande
es bemerkten!“
    „Großer Gott!“ ruft sie erschrocken.
„Wie kommen Sie darauf?“
    „Ganz einfach. Sie reden von Blut, und
ich komme auf Mord. Logisch, oder?“
    „Nein, das ist nicht

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