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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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die Schnauze
voll von knallenden Türen. Diese hier wurde heftig zugeschlagen, als ich
auftauchte. Jemand, der sich schnell verdrücken wollte, bevor die Flics
antanzen. Jemand, der nicht unbedingt gesehen werden möchte, wie er von
Mademoiselle Rita oder Madame Coraline kommt, von einem dieser reizenden
Geschöpfe mit den charmanten Vornamen. Seiner Frau hat er wahrscheinlich
erzählt, er sei auf einem Kongreß in der Provinz, auf irgendeiner Nachtsitzung.
So ganz gelogen ist das ja auch nicht.
    Ich hänge mich ans Geländer und
rutsche wie ein nasser Sack die Treppe runter. Dann stehe ich vor Régines
Wohnungstür, eine Etage tiefer. Der Schlüssel steckt von außen. Ich drehe ihn
im Schloß und gehe hinein.
    Régine steht am Fenster und hält sich
am Vorhang fest. Auch sie hat also Gleichgewichtsstörungen. Sie sieht mich und
schwebt in ihrem hauchdünnen Nachtgewand auf mich zu, herzhaft gähnend. So
wirke ich also auf das kleine Biest! Na ja, dazu komme ich später. Jetzt erst
mal ins Badezimmer. Ich schütte mir Wasser ins Gesicht. „Hau endlich ab!“ höre
ich wieder die Stimme rufen. „So lange ist die Schießerei noch gar nicht her,
auch wenn dir’s wie ‘ne Ewigkeit vorkommt. Besonders laut war’s auch nicht. Sie
hatten Schalldämpfer. Aber trotzdem, es hat Aufmerksamkeit erregt. Aus
naheliegenden Gründen ruft keiner die Flics. Jedenfalls nicht sofort. Das ist
deine Chance! Aber irgendwann stehen sie auf der Matte, die Flics. Hau ab!“ Die
Stimme wird lauter.
    „Régine“, sagt sie, jetzt auch für
andere wahrnehmbar. „Verletzt... Arzt... Freund... Neuilly... Nähe... zu Fuß...
Und gähn nicht so!“
    „Das kommt von dem Zeug, das mir
Consuelo gegeben hat.“
    „Ach ja, Consuelo. Keine Angst mehr...
Pedro... tot... runter... dein Auto... bevor die Flics... Mantel... Ja, einfach
so... Arzt... sieht immer halbnackte Frauen...“
    Wir gehen nach unten. Sie gähnend, ich
halbtot. Den Arm, an dem immer noch die Waffe hängt, spüre ich nicht.
    Aus der Conciergeloge fällt Licht,
aber niemand hält uns auf. Wir stehen auf der Rue du Dobropol. Die Kälte tut
mir gut. Sonst hasse ich solch ein Sauwetter, aber jetzt genieße ich es mit
offener Jacke und gelöster Krawatte. Wir klettern in Régines Wagen. Das Mädchen
gähnt, startet, gähnt wieder.
    Das wurde auch höchste Zeit. Nach kaum
zweihundert Metern hören wir die typische Polizeisirene.
     
    * * *
     
    Ich lehne mich gegen die Wagentür.
Mein Körper wird durchgeschüttelt. Schmerzhafte Wellen laufen mir von den
Schuhsohlen bis in die Haarspitzen und wieder zurück. Der Wagen macht nahe
Bekanntschaft mit einer Bordsteinkante, wickelt sich beinahe um einen Baum.
Régine hängt mit wackelndem Kopf über dem Lenkrad. Sie pennt fast von dem
katervertreibenden Wässerchen. Mit meiner linken Hand — der gesunden —
schüttele ich das Mädchen.
    „Régine!“
    Sie richtet sich auf, packt das Steuer
wieder fester. Ich kneif sie in den Arm, um sie wachzuhalten. Im Zickzack
biegen wir in die Avenue de Neuilly ein. Unterwegs stoßen wir Mülleimer um. Das
Getöse hört man noch ‘n paar Straßen weiter. Zum Glück wohnt mein Freund, der
Medizinmann, ganz am Anfang der Straße.

12

Wiederbelebung
     
    „Diesmal sind Sie noch davongekommen“,
sagt der Arzt und sieht mich mit seinem überirdischen Lächeln an.
    „Vielen Dank, mein Lieber.“
    Ich liege auf einem weichen Bett im Gästezimmer.
Das schwache Licht der Nachttischlampe wird durch die graue Morgendämmerung
ergänzt.
    „Geht sie auf oder unter?“ frage ich.
    „Wer?“
    „Die Sonne.“
    „Sie hat sich den ganzen Tag über
nicht blicken lassen. Aber es ist sechzehn Uhr, Samstag, 8. November. Also wird
sie wohl untergehen.“
    „So schlimm hat’s mich erwischt?“
    „Nein. Morgen sind Sie wieder auf den
Beinen. Sie mußten sich ausruhen. Deshalb hab ich Ihnen ein Schlafmittel
verpaßt.“
    „Dann ist das der Grund für meinen
dicken Kopf?“
    „Das, die Wunde und die Operation. Und
getrunken haben Sie gestern abend auch nicht
schlecht.“
    „Stimmt! Hab mich ganz schön
zugeschüttet... Entschuldigen Sie, daß ich Sie mitten in der Nacht belästigen
mußte. Sie waren der einzige, der mir helfen konnte. Vielen Dank noch mal,
Doktor.“
    „Sie mußten mich nicht mal aufwecken.
Ich war mitten in einem Roman. Der Held ist ein Kollege von mir, der Gangster
verarztet... Ich mußte Sie in meine Wohnung tragen, weil Sie an der Haustür
zusammengeklappt sind. Sind mir sozusagen um den

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