Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
Leiche. Altmodische Stiefeletten, schwarze,
mehrfach gestopfte Seidenstrümpfe über krampfadrigen Beinen, ein
hochgeschlagener, schmutziger Unterrock. Grotesk und obszön zugleich. Jetzt
verweilt mein Blick auf den verblichenen Haaren, strubbelig, struppig, so als
hätten sie sich vor Schreck gesträubt. Das Gesicht unter dem Make-up ist blau
angelaufen, die Augen sind weit aufgerissen. Aber die größte Anziehungskraft
übt diese grauenhafte Hand aus. Ich starre sie wieder an... Mein Blick wandert
zu einem umgekippten Hocker... folgt einer verdächtigen Spur... klettert hoch
zum Schnittpunkt zwischen Wand und Decke...
    Aus seinem Rahmen blickt Frédéric
Langlat, der Maler, auf die Szene. Pinsel in der Hand,
ausdrucksvoller Bart um den Mund, inspirierter Ausdruck in den Augen, der mir
bereits bei unserer ersten Begegnung aufgefallen ist.
    Neben Langlats Selbstporträt hing
gestern noch ein anderes Bild. Inzwischen ist es schwungvoll auf den Boden
geworfen worden. Als es noch an der Wand hing, verdeckte es eine Nische mit
einer kleinen Schiebetür. Dieses Türchen steht jetzt sperrangelweit auf —
soweit man das bei diesen Maßen sagen kann! — , und es
zeigt sich unverhohlen ein komplizierter Mechanismus. Eine Feder, Zahnräder,
Gestänge. Spielzeug für Désiris. Und für mich. Ich drücke einen Hebel nach
unten. Es klickt, und dann summt es kaum hörbar.
    „Ach du Scheiße!“
    Das ist wieder Zavatter.
    Ich schaue zur Decke, die sich
langsam, kaum wahrnehmbar, zurückschiebt. Zwischen der Wand mit dem roten
Vorhang und der Zimmerdecke entsteht ein Spalt von etwa vierzig Zentimetern. Es
klickt wieder, das Summen hört auf, und die Decke steht still.
    „Ach du Scheiße!“
    Zavatter ist heute nicht sehr
einfallsreich.
    Geheimnisvolle Kuriositäten des 17. Arrondissements. Dies hier
gehört bestimmt zu den interessantesten Objekten!
    Mir kommt Jean-Louis Vaudoyer in den
Sinn. In Paris, wie wir es lieben berichtet er von einem Zeitgenossen
unseres Langlat, der „riesige Bilder“ malte. Im Boden seines Ateliers befand
sich ein Spalt, aus dem durch einen genialen Mechanismus die riesige Leinwand
auftauchte. Umgekehrt konnte der Maler die Leinwand versenken, wenn er an
diesem oder jenem Teil seines Meisterwerkes arbeiten wollte.
    Wir stehen hier vor einer ähnlichen
Erfindung. Langlat hatte sich in seinem Haus ebenfalls einen „genialen Mechanismus“
einbauen lassen.
    Der neugierige Zavatter ist zur Wand
gegangen und richtet den Schein seiner Taschenlampe auf den Spalt. Dann
schnappt er sich den Hocker und steigt drauf.
    „Vorsicht!“ schrei ich.
    Ohne Klicken, ohne irgendein anderes
Warnzeichen, hat sich die Decke wieder in Bewegung gesetzt. Diesmal hat sie’s
aber sehr eilig, trödelt nicht rum. Peng! Die Decke knallt gegen die Wand. Und
wenn man nicht rechtzeitig seine Pfoten zurückzieht, kann man die Engel im
Himmel singen hören. Dann öffnet sich der Spalt wieder ein wenig (das ist der
Moment, wo man seine manikürte Hand rausziehen kann!), um dann endgültig zu
verschwinden.
    „Scheiße!“ Zavatters Lieblingswort.
    „Entweder ist der Mechanismus defekt,
oder das ist eine Falle“, vermute ich. „Ich tippe eher auf Falle.“
    Ich sehe zu Hélène hinüber. Ihre Augen
glänzen.
    „So...“
    „...hat sich Chambefort die Hand
zerquetscht“, beendet meine Sekretärin den Satz. „An dem Tag, als er Désiris’
Pläne für die Erfindung klauen wollte.“
    „Ja. Und dasselbe Mißgeschick ist der
Gräfin passiert. Nur daß sie sich buchstäblich zu Tode erschrocken hat. Das
Alter, das Herz... Chambefort dagegen hat den Schock überlebt... zunächst. Ein
wenig fühle ich mich für den Tod der alten Dame verantwortlich. Ich wollte mich
dafür rächen, daß sie mich verarscht hat. Deswegen hab ich ihr erzählt, daß in
der Villa viel Geld versteckt war. Und da hat sie eben gesucht...“ Ich hebe den
aufgeschlitzten Beutel auf, verschließe das Loch notdürftig mit einer
Sicherheitsnadel und stopfe die herumliegenden Steine hinein. Zavatter hilft
mir dabei. Hélène sieht uns zu.
    „Na ja... Durch die Neugier von Mutter
Mèneval haben wir die ,Ware’ gefunden, die Sarfotti
Désiris anvertraut hat. Der Schatz der Zigarettenschmuggler.“
    „Und was ist das?“ fragt Hélène, obwohl
sie es ganz genau weiß, diese Schauspielerin.
    „Keine Zigaretten! Rohdiamanten,
Sarfottis Spezialität. Der Beutel ist nicht besonders groß, hm? Wenn man den
Anteil von Hehler und Schleifer und möglichen Abfall abzieht,

Weitere Kostenlose Bücher