Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
sind hier drin
aber immer noch mehrere Hundert Millionen.“
* * *
Es regnet. Der Wind heult ums Haus,
pfeift durch die Bäume und peitscht den Regen gegen die Fenster des Salons. Hin
und wieder zittert das Kaminblech. Ich bin alleine mit dem Porträt von
Mademoiselle de Mèneval und der Leiche derselben, eine Etage höher und fünfzig
Jahre älter. Alleine mit meinem leichten Fieber, einer Art Rausch, und einem
Buch über die Kuriositäten des 17. Arrondissements. Alleine mit rund
dreihundert geschmuggelten Rohdiamanten. Alles in allem bin ich gar nicht so
alleine. Fehlt nur noch meine Pfeife. Aber die verträgt sich nun wirklich nicht
mit meinem angegriffenen Gesundheitszustand.
„Jetzt ist er völlig verrückt
geworden“, hat Hélène leise zu Zavatter gesagt, als ich mich geweigert habe,
mit ihnen die Villa zu verlassen.
Nein, ich bin nicht verrückt geworden.
Im Gegenteil, ich fühle mich hier ganz wohl. Die Zentralheizung funktioniert,
und es gibt bequeme Sessel und Sofas, um sich langzulegen. Das gehört sich
schließlich für das Heim einer Horizontalen, auch einer pensionierten. Ich
brauche nicht zu befürchten, von irgend jemandem gestört zu werden. Die Hausherrin hat dem Dienstmädchen freigegeben, um für
ihre Suchaktion freie Bahn zu haben. Faroux, der bestimmt darauf brennt, mich
einsperren zu lassen, wird wohl seine Leute vor Zavatters, Hélènes sowie meiner
eigenen Wohnung und der Agentur postiert haben. Aber auf die Idee, mich hier zu
suchen, kommt er ganz sicher nicht. Das hätte mir auch gerade noch gefehlt!
Wenn die Flics mich samt Diamanten überraschen würden, könnte ich einpacken.
Ich brauche dringend Ruhe, und die finde ich hier. Die Gräfin wird mir nicht
auf die Füße treten. Sicher, es gibt angenehmere Gesellschaft. Aber immer noch
besser, eine Leiche liegt im Zimmer über mir, als daß ich auf einem unbequemen
Stuhl der Kripo sitzen und unbequeme Fragen beantworten muß, das Licht einer
grellen Lampe im Gesicht und Tabakgestank in der Nase. Wo ich doch im Moment
keinen Tabak vertragen kann! Nein, ich bin nicht verrückt. Außerdem kann ich
mich sehr gut alleine beschäftigen.
Verträumt spiele ich mit den
ungeschliffenen Diamanten, die ich auf einen Tisch geschüttet habe. Manche
sehen aus wie Kieselsteine, die keinem Spatz was zu leide tun können. Außer,
sie werden ihm mit einer Schleuder gegen das Köpfchen geschossen. Diese
Steinchen hier sind aber auch ohne Schleuder tödlich. Wenn man sie rollt,
blitzen sie seltsam auf. Vor allem die grünen: Smaragde! Solch einen Stein hat
Yolande am Finger getragen. Désiris hatte ihr ein königliches Geschenk gemacht,
das ihn fast nichts gekostet hatte! Nur die Schleifarbeiten des Juweliers.
Smaragde bringen Unglück. Noch so ein Quatsch, den die glücklichen Besitzer
dieser Klunker denen erzählen, die in den Mond gucken dürfen. Für Yolande
trifft der Spruch allerdings zu. Der Stein an ihrer Hand hat die Gangster noch
zusätzlich geblendet. „Sie hat ihren Ring nicht bei Uniprix gekauft“,
hat einer der Mörder in der Rue du Dobropol gesagt. Die Kidnapper haben
messerscharf darauf geschlossen, daß die Beute ganz in der Nähe sein müsse.
Ich mache mich auf die Suche nach
einem kleinen Koffer oder so was Ähnlichem. Eine gefütterte Reisetasche, Modell
1900, erfüllt meinen Zweck. In ihr kann ich den Beutel mit der Beute verstauen.
Ich lösche das Licht und strecke mich
auf einem Sofa neben der Heizung aus. Trotz der ungemütlichen Gesellschaft in
der ersten Etage und dem Regen draußen, der immer heftiger wird, schlafe ich
sofort ein. Der Schlaf des Gerechten nach getaner Arbeit!
* * *
Das Läuten des Telefons reißt mich aus
meinen verworrenen Träumen. Hartnäckig und bedrohlich schrillt es durchs Haus.
Ich richte mich auf und sehe auf die Leuchtziffern meiner Armbanduhr. Zwei Uhr.
Wer ruft denn um zwei Uhr morgens Huguette de Mèneval an? Sie steht doch schon
lange nicht mehr auf der Liste der Callgirls! Nach fünfzehnmaligem Klingeln
gibt der Anrufer auf.
Ich lausche in die Dunkelheit. Der
Wind ist schwächer geworden, der Regen nicht. Aus der Dachrinne plätschert
Wasser in den Garten.
Das Telefon, üblicher Apparat für moderne
menschliche Beziehungen. Erfunden, um zu läuten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Nichts Besonderes. Warum aber ruft es in mir dieses bedrückende Gefühl hervor?
Sogar mein Herz schlägt schneller.
Kurz darauf bimmelt es wieder. Ich
erschrecke mich, obwohl ich damit gerechnet
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