Wer einmal lügt
den Brunnen geworfen? Broome war auf einige mögliche Antworten gekommen, die ihn jedoch alle nicht zufriedenstellten. Die Leichen im Brunnen halfen auch nicht bei der Beantwortung der Fragen, warum und von wem Harry Sutton getötet worden war. Aber womöglich hatte dieser Mord auch gar nichts damit zu tun, und es handelte sich nur um ein rein zufälliges zeitliches Zusammentreffen. Dass Lorraine geglaubt hatte, Stewart Green lebend gesehen zu haben, war ein lässlicher Fehler. Sie hatte selbst zugegeben, sich nicht sicher zu sein. Wahrscheinlich war es jemand gewesen, der Stewart ähnlich sah. Mit dem kahlgeschorenen Kopf, dem Kinnbart, der siebzehnjährigen Computer-Alterung hätte selbst Broome nicht sicher sagen können, dass das Bild auf einem Foto von Stewart Green basierte.
Aber vielleicht hatte Lorraine sich auch gar nicht geirrt. Vielleicht war Stewart Green nicht das erste Opfer, sondern der Täter …
Er konnte es sich nicht vorstellen.
Ein weiteres Skelett wurde aus dem Brunnen gehievt.
»Detective Broome?«
Er drehte sich um.
»Special Agent Guy Angiuoni. Danke, dass Sie uns angerufen haben.«
Sie schüttelten sich die Hände. Broome war zu alt für Zuständigkeitsstreitereien. Er wollte nur, dass dieser Irre geschnappt wurde.
»Haben Sie irgendeine Idee, um wen es sich bei den Leichen dort handeln könnte?«
»Meine Fr…«, fast hätte er Frau gesagt, »… meine Partnerin, Erin Anderson, ist dabei, eine Liste der Männer zusammenzustellen, die um Mardi Gras herum verschwunden sind. Sobald sie fertig ist, lassen wir Ihnen die Informationen zukommen, damit Sie sie mit den Opfern im Brunnen abgleichen können.«
»Das wäre gut.«
Die beiden Männer sahen zu, wie das Seil des Flaschenzugs wieder heruntergelassen wurde.
»Ich habe gehört, dass Sie jemanden verdächtigen«, sagte Angiuoni. »Einen gewissen Ray Levine.«
»Man muss ihn wohl zum Kreis der Verdächtigen zählen, es gibt aber bisher praktisch keine Beweise. Wir haben bei ihm schon eine Hausdurchsuchung durchgeführt.«
»Ausgezeichnet. Vielleicht können Sie die Übergabe der Asservate an meine Leute organisieren.«
Broome nickte und wandte sich ab. Es wurde Zeit, aus dem Wald rauszukommen. Er konnte hier ohnehin nichts mehr tun. Bis hier alle Spuren gesichert waren, vergingen noch Stunden, vielleicht sogar Tage. Er würde inzwischen nachsehen, was seine Leute in Ray Levines Kellerwohnung gefunden hatten – falls sie überhaupt etwas gefunden hatten. Er dachte an Sarah Green und überlegte, ob er sie erst dann kontaktieren sollte, wenn endgültig sicher war, dass auch Stewarts Leiche im Brunnen lag, entschied sich aber dagegen, weil die Medien sofort auf die Sache anspringen würden. Er wollte nicht, dass Sarah die Neuigkeiten von einem aufdringlichen Reporter erfuhr.
»Wir könnten uns bei Levines Wohnung treffen«, sagte Broome.
»Gute Idee. Ich würde mich freuen, wenn Sie weiter an der Sache mitarbeiten, Detective. Wir brauchen einen Einheimischen, der uns bei der Koordination der ganzen Sache unterstützt.«
»Ich stehe Ihnen zur Verfügung.«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Mit Hilfe der Taschenlampe ging Broome den Pfad zurück zu seinem Wagen. Sein Handy surrte. Ein Blick aufs Display zeigte ihm, dass es Megan Pierce war.
»Hallo?«
Doch es war nicht Megan Pierce. Es war eine Ermittlerin der Mordkommission aus Essex County, die ihm mitteilte, dass gerade jemand versucht hatte, Megan Pierce zu ermorden.
Erin brauchte eine Weile, aber schließlich fand sie die Festnetznummer von Stacy Paris, der Erotiktänzerin, um die sich Ross Gunther und Ricky Mannion gestritten hatten – ein Streit, bei dem Gunther sogar ums Leben gekommen war. Stacy Paris hatte ihren Namen in Jaime Hemsley geändert. Sie war alleinstehend und besaß eine kleine Boutique in Alpharetta, Georgia, einem schicken Vorort von Atlanta.
Erin zögerte einen Moment, griff dann aber trotz der fortgeschrittenen Stunde zum Telefon und wählte ihre Nummer.
Eine Frau mit Südstaatenakzent meldete sich. »Hallo?«
»Jaime Hemsley?«
»Ja, was kann ich für Sie tun?«
»Hier spricht Detective Erin Anderson vom Atlantic City Police Department. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Es entstand eine kurze Pause.
»Miss Hemsley?«
»Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
»Es ist mir sehr unangenehm, Sie so überraschend anzurufen, aber ich brauche Ihre Hilfe.«
»Ich weiß nichts.«
»Na ja, Jaime, oder sollte ich
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