Wer einmal lügt
Del das für totalen Blödsinn, aber mit dem Alter war er abergläubisch geworden.
Er erhob sich aus dem weißen Leder und öffnete die Tür. Goldberg, der Polizist, stand draußen in der Kälte. Er sagte nichts. Ihre Blicke trafen sich, und Goldberg informierte ihn mit dem knappsten und furchtbarsten Nicken, mit dem Menschen etwas mitteilen konnten. Del spürte, wie etwas in seiner Brust zu Staub zerfiel.
Es gab keinen Zweifel. Zu Anfang nicht. Zu Anfang verspürte er nur diese allumfassende Klarheit. Del Flynn wusste genau, was das bedeutete. Sein Junge war für immer gegangen. Er würde nie zurückkommen. Sein Sohn war tot. Sein junges Leben war zu Ende. Es gab keine Begnadigung, kein Wunder, nichts, was ihn wieder zurückholen konnte. Del würde ihn nie wieder in den Arm nehmen, ihn nie wieder sehen oder mit ihm reden. Es würde keine Eagles-Spiele mehr geben. Carlton war tot, das war alles, und Del wusste, dass er sich von dieser Nachricht nie wieder erholen würde.
Seine Knie gaben nach. Del sank langsam zu Boden, wollte sich fallen lassen, doch Goldberg fing ihn auf. Del hing in den kräftigen Armen des Polizisten. Der Schmerz war zu groß, unfassbar, unerträglich.
»Wie?«, fragte er schließlich.
»Wir haben ihn in der Nähe des Ortes gefunden, an dem auch sein Blut war.«
»Im Wald?«
»Ja.«
Del stellte sich Carlton im Wald vor – allein in der Kälte.
»Da waren noch mehr Leichen. Wir glauben, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben könnten.«
»Ein Serienmörder?«
»Wahrscheinlich.«
»Heißt das, dass es gar keinen Grund gab? Dass es nur Zufall war, dass er meinen Jungen ermordet hat?«
»Das können wir noch nicht sagen.«
Del versuchte den Schmerz beiseitezuschieben und sich auf Goldbergs Worte zu konzentrieren. So reagierte man in Zeiten, in denen man Höllenqualen litt. Manche Menschen verleugneten das Geschehene. Manche schworen Rache. Man lenkte sich mit unwichtigen Nebensächlichkeiten ab, weil an der furchtbaren Wahrheit nichts zu ändern war.
Als die Tränen zu fließen anfingen, fragte Del: »Hat mein Junge gelitten?«
Goldberg überlegte einen Moment lang. »Das weiß ich nicht.«
»Haben Sie den Kerl geschnappt?«
»Noch nicht. Aber wir kriegen ihn.«
Im Fernseher hörte Del die Heimzuschauer jubeln. Es war etwas Gutes für die 76ers passiert. Sein Sohn war tot, aber die Menschen jubelten. Es interessierte niemanden. Die Stromversorgung im Haus funktionierte noch. Es fuhren weiter Autos daran vorbei. Und die Menschen jubelten weiterhin ihren Lieblingsmannschaften zu.
»Danke, dass Sie mich persönlich informiert haben«, hörte Del sich sagen.
»Haben Sie jemanden, der bei Ihnen bleiben kann?«
»Meine Frau kommt gleich nach Hause.«
»Soll ich so lange bei Ihnen bleiben?«
»Nein, das geht schon. Vielen Dank, dass Sie vorbeigekommen sind.«
Goldberg räusperte sich. »Del?«
Er hob den Blick und sah Goldberg ins Gesicht. Darin lag echtes Mitgefühl, aber er sah auch noch etwas anderes.
Goldberg sagte: »Wir wollen nicht, dass noch mehr Unschuldige verletzt werden. Haben Sie mich verstanden?«
Del antwortete nicht.
»Pfeifen Sie diese Psychos zurück«, sagte Goldberg und reichte ihm ein Handy. »Es gab schon genug Tote für eine Nacht.«
Inmitten der brennenden Qualen verspürte er tatsächlich diese allumfassende Klarheit. Goldberg hatte recht. Es war schon zu viel Blut vergossen worden. Del Flynn nahm Goldberg das Handy aus der Hand und wählte Kens Nummer.
Der meldete sich jedoch nicht.
Broome rief Sarah Green an. »Bist du in einer Stunde zu Hause?«
»Ja.«
»Kann ich vorbeikommen?«
»Gibt’s was Neues?«
»Ja.«
Es entstand eine kurze Pause. »Das klingt nicht nach guten Neuigkeiten.«
»Ich bin in einer Stunde bei dir.«
Die Straßenlaternen vor Ray Levines Wohnung waren zu hell und zu gelb und tauchten alles in ein bernsteinfarbenes Licht. Vier Streifenwagen des Atlantic City Police Departments standen vor dem bescheidenen Haus. Als Broome sich näherte, sah er einen Transporter vom FBI vorfahren. Er eilte ins Haus und traf Dobbs.
»Was gefunden?«, fragte Broome.
»Nichts Überraschendes, wenn Sie das meinen. Keine Mordwaffe. Keine Sackkarre. Nichts in der Art. Wir haben schon damit angefangen, die Fotos auf seinem Computer zu sichten. Nach allem, was wir bisher gesehen haben, hat der Kerl die Wahrheit gesagt – die Fotos rund um die alte Eisenerzmine wurden alle jeweils am achtzehnten Februar gemacht, nicht an Mardi
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