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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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die er auch durch jahrelanges Training nicht hätte erreichen können. Als Kaylie aus Megans Blickfeld verschwand, glitt Dave über den Boden auf die offene Gittertür zu, streckte den Arm aus und packte die fallende Kaylie am Fußgelenk. Er hatte zu viel Schwung, konnte nicht mehr abstoppen und fiel daher selbst die harte Treppe hinunter, doch irgendwie gelang es ihm währenddessen, Kaylie hinter sich auf den Küchenfußboden zu werfen und sie so zu retten. Seinen eigenen Sturz konnte er dabei jedoch gar nicht mehr abfangen. Er stürzte bis an den Fuß der Treppe und brach sich zwei Rippen.
    Megan hatte schon von ähnlich heldenhaften Taten gehört, Geschichten über jene seltenen Ehepartner oder Eltern, die sich ohne nachzudenken opferten. Sie hatte von Schießereien gelesen, bei denen Ehemänner sich ganz selbstverständlich vor ihre Frauen gestellt und sie so gerettet hatten. Das waren nicht nur im klassischen Sinne gute oder anständige Männer gewesen. Es waren auch Trunkenbolde, Spieler und Diebe darunter. Doch auf einer grundlegenden Ebene waren sie wohl von Natur aus tapfer. Sie waren selbstlos und handelten aus reinem Herzen. In ihrer Gegenwart fühlte man sich sicher, behütet und geliebt. So etwas konnte man nicht lernen. Man trug es in sich – oder eben nicht.
    Megan hatte schon vorher gewusst, dass Dave es in sich trug.
    Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand – die Hand am unverletzten Arm. Er streichelte ihr so sanft übers Haar, als wäre sie plötzlich aus Porzellan und könnte zerbrechen.
    »Ich hätte dich verlieren können«, sagte Dave, und es schwang große Angst in seiner Stimme mit.
    »Mir geht’s gut«, sagte sie, und weil das Leben in Augenblicken größten Schreckens manchmal auch furchtbar pragmatisch sein kann, fragte sie: »Wer passt auf die Kinder auf?«
    »Sie sind bei den Reales. Mach dir darüber keine Sorgen, ja?«
    »Gut.«
    »Ich liebe dich«, sagte er.
    »Ich liebe dich auch«, sagte sie. »Mehr als du je verstehen wirst. Aber ich muss dir jetzt die Wahrheit erzählen.«
    »Das kann warten«, sagte er.
    »Nein, kann es nicht.«
    »Du bist verletzt. Mein Gott, du wärst heute Abend fast ermordet worden. Die Wahrheit interessiert mich nicht. Du bist das Einzige, was mich interessiert.«
    Sie wusste, dass das in diesem Moment sein voller Ernst war – und sie wusste auch, dass sich diese Einstellung irgendwann ändern würde. Ihre Wunden würden heilen, sie würde wieder nach Hause kommen, und irgendwann würden die Fragen wieder an ihm nagen. Er konnte vielleicht warten, Megan konnte das nicht.
    »Bitte, Dave, hör mir einfach zu, ja?«
    Er nickte. »Okay.«
    Und dann, während seine Hand langsam von ihrer herabrutschte, erzählte Megan ihm alles.
    Als es an der Tür klingelte, griff Del Flynns Hand unwillkürlich nach der Antonius-Medaille.
    Del saß zu Hause und guckte das Basketballspiel der Celtics gegen die Sixers. Er war auf Seiten der Sixers – oder der Philadelphia 76ers, wie sie mit vollem Namen hießen –, sie waren sein Lieblings-Basketballmannschaft. Aber das einzige Team, das die Flynns wirklich liebten, waren die Philadelphia Eagles – Del war American-Football-Fan. Drei Generationen männlicher Flynns, Dels Vater, Del, Dels Sohn Carlton, waren riesige Eagles-Fans gewesen. Als Del vor über zwanzig Jahren schließlich angefangen hatte, richtig Geld zu verdienen, hatte er sich zwei Dauerkarten an der Mittellinie gekauft. Er hatte zwei Jahre gebraucht, um seinen alten Herrn zu überreden, auch nur einen Sonntag die Arbeit im Pub sausen zu lassen und mit ihm zu einem Spiel zu gehen. Es war ein toller Tag gewesen, die Eagles hatten die Dallas Cowboys mit drei Punkten Vorsprung geschlagen. Nicht lange danach war Dels Vater gestorben – an Lungenkrebs, wahrscheinlich weil er so viele Jahre in dem verrauchten Pub verbracht hatte. Seine Arbeit hatte ihn getötet. Aber das Spiel war eine schöne Erinnerung, eine, die Del immer gegenwärtig war und die er sich manchmal sogar bewusst ins Gedächtnis rief, wenn er sich an das Aussehen seines alten Herrn erinnern wollte, bevor der verdammte Krebs ihm die Eingeweide zerfressen hatte.
    Del erinnerte sich, wie er Carlton zum ersten Mal zu einem Spiel mitgenommen hatte, als der erst vier Jahre alt war. Die Eagles hatten gegen die Washington Redskins gespielt, und Carlton wollte sich einen Redskins-Wimpel kaufen, obwohl er das Team nicht ausstehen konnte. Danach war es eine Art Tradition geworden – Carlton hatte die

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