Wer einmal lügt
Wimpel der gegnerischen Mannschaften gekauft und sie sich über sein Bett an die Wand gehängt. Del fragte sich, wann das aufgehört hatte, wann Carlton keine neuen Wimpel mehr gewollt hatte, und wann er von da den nächsten Schritt gemacht und sie abgenommen hatte.
Im Fernseher verwarf der neue Center der Sixers zwei Freiwürfe hintereinander.
Del warf die Arme in die Luft und drehte sich zur Seite, um zusammen mit seinem Sohn über die schlechten Würfe zu klagen. Aber Carlton war natürlich nicht da. Dem wäre es auch egal gewesen. Auch sein Sohn interessierte sich nur für die Eagles. Mann, der Junge war so gern zu den Spielen gegangen. Er hatte alles daran geliebt – die Parkplatzparty, die Würfe am Stadion, die Wimpel, das Singen der Eagles-Hymne. Carlton hatte normalerweise nur zu zwei oder drei von den acht Heimspielen der Eagles mitkommen können, obwohl er immer gebettelt hatte, häufiger mitgehen zu dürfen. Zu den anderen nahm Del Freunde oder Geschäftsfreunde mit, oder er gab die Karten jemandem, dem er einen Gefallen schuldete.
Mann, was war das doch für eine blödsinnige Zeitverschwendung gewesen.
Als Carlton älter wurde, wollte er natürlich nicht mehr mit Del gehen. Carlton wollte mit seinen Freunden zum Spiel gehen und hinterher mit ihnen abhängen und feiern. Das war der Lauf der Welt, oder? Vater und Sohn waren einfach nicht auf derselben Wellenlänge – wie in diesem alten Song Cats in the Cradle oder so ähnlich. Del fragte sich, wann Carlton auf die schiefe Bahn geraten war. Es hatte da diesen Vorfall in seinem letzten Highschool-Jahr gegeben, als ein Mädchen Carlton wegen Vergewaltigung nach einer Verabredung angeklagt hatte. Carlton hatte Del erzählt, sie wäre einfach nur wütend gewesen, weil er sie nach einem One-Night-Stand wieder abserviert hatte. Del hatte ihm geglaubt. Wer vergewaltigte schon jemanden, wenn man miteinander verabredet war? Vergewaltiger versteckten sich im Gebüsch und sprangen heraus und so weiter. Sie wurden nicht von Mädchen in ihre Wohnung eingeladen wie Carlton. Es waren zwar ein paar Blutergüsse und Bisswunden zu sehen gewesen, aber Carlton hatte behauptet, dass sie es so gewollt hatte. Del war sich nicht sicher, im Endeffekt interessierten ihn diese feinen Grenzen und der ganze Sie-hat-gesagt-, Er-hat-gesagt-Krempel nicht. Sein Sohn würde jedenfalls nicht wegen eines mehr oder weniger großen Missverständnisses ins Gefängnis gehen. Also hatte Del ein paar Leute bezahlt, damit sie die Sache aus der Welt schafften.
So lief das. Sein Sohn war ein guter Junge. Er befand sich vielleicht gerade in einer schwierigen Phase. Aber da würde er bald rauswachsen.
Trotzdem war Del eine Veränderung an seinem Jungen aufgefallen, und jetzt, wo er so viel Zeit hatte, versuchte er herauszubekommen, was genau passiert war. Es könnte durchaus am Football gelegen haben. Als kleiner Junge war Carlton ein toller Running Back gewesen. Selbst in der achten Klasse hatte er noch sämtliche Saisonrekorde für gelaufene Yards gebrochen. Doch dann hatte er plötzlich aufgehört zu wachsen. Das hatte ihn extrem frustriert. Es war nicht seine Schuld. Das lag einfach an den Genen, und da konnte man nichts machen. Als Carlton in die zweite Mannschaft zurückgestuft wurde, fing er an, mehr mit Gewichten zu arbeiten und, wie Del vermutete, Anabolika zu schlucken. Das war der Anfang gewesen. Wahrscheinlich. Wer wusste das schon so genau?
Del versuchte, sich auf die Celtics und die 76ers zu konzentrieren, und stellte überrascht fest, dass es ihm gelang. Trotzdem. Trotz allem, was ihn noch beschäftigte. Das Leben war schon komisch. Eigentlich war es ihm scheißegal, ob die 76ers gewannen. Maria hatte sich natürlich immer krankgelacht, wenn sie sah, wie er sich wegen oder während eines Spiels so aufregte. Sie deutete auf den Fernseher und sagte: »Glaubst du, die Typen würden zu dir auf die Arbeit kommen und dich anfeuern?« Da hatte sie zwar recht – aber war das nicht egal? Und als wollte sie zeigen, dass sie es nicht böse meinte, hatte sie ihm dann immer einen Snack gebracht, ein paar Kartoffelchips, Nachos oder so etwas.
Als er so auf seinem weißen Sofa saß, an seine süße Maria dachte und die 76ers acht Punkte in Folge gemacht hatten, klingelte es an der Tür.
Seine Hand griff sofort nach der Medaille des heiligen Antonius von Padua. Angeblich half er, die Erinnerung an verlorene Dinge und auch an vermisste Personen aufrechtzuerhalten. Als er jünger war, hielt
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