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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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aussieht.«
    Sie versuchte, das schräge Lächeln aufzusetzen, das er schon im Club gesehen hatte, es gelang ihr aber nicht richtig. Ken sah … vielleicht Angst? Ja, Angst. Ein Hauch von Angst huschte über ihr faltiges Gesicht, und das erregte ihn.
    Ken sah sie mit sanfter Miene an: »Ich muss mit Ihnen über etwas reden.«
    Lorraine musterte ihn widerstrebend – und vielleicht auch etwas ängstlich –, aber sie war nicht der Typ, der eine Szene machte oder jemanden abwies.
    »Es ist wirklich wichtig«, sagte er. »Darf ich reinkommen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Lorraine. »Es ist schon ziemlich spät.«
    »Oh, keine Sorge.« Er lächelte und zeigte dabei all seine Zähne. »Das dauert nur einen Moment, das verspreche ich Ihnen.«
    Dann schob Ken sich in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich.
    Draußen wurde ihm kalt, also ging Ray die Treppe hinunter in Lucys gewölbten Bauchraum. Hierherzukommen war eine dumme Idee gewesen. Was hatte er sich eigentlich davon versprochen? Ja, natürlich verband er wunderbare Erinnerungen mit diesem Ort. Vielleicht hatte er gehofft, dass es Cassie genauso erging. Aber hatte er gedacht, er könnte die Wirkung seiner Enthüllung irgendwie abmildern, wenn er sie ihr hier eröffnete? Hatte er wirklich geglaubt, wenn er sie irgendwie in diese Zeit und an diesen Ort zurückversetzte, würde sie verstehen, warum er das damals getan hatte?
    Wie dumm von ihm.
    Ja, ein paar Dinge konnte man schon relativieren, indem man sie in die richtige Perspektive und den richtigen Kontext setzte, aber war er wirklich so naiv gewesen zu glauben – ja, was eigentlich? –, dass sie hier in diesem Elefanten einen Hormonschub bekommen würde, der alles, was er getan hatte, akzeptabel machte? Plötzlich kam er sich wie ein schlechter Immobilienmakler vor, der glaubte, »die Lage, die Lage, die Lage …« würde den Wert seines Geständnisses drastisch erhöhen.
    Ray sah auf sein Handy. Keine SMS von Cassie, Megan oder wie immer sie auch hieß. Er überlegte, ob er sie noch einmal anrufen sollte, aber was hätte das gebracht? Er beschloss, noch ein bis zwei Stunden zu warten und dann zu gehen. Aber wohin? Wahrscheinlich war die Polizei fertig mit der Wohnungsdurchsuchung, aber wollte er wirklich wieder zurück in diese schmuddelige Bude?
    Nein.
    Es war Zeit für einen Neuanfang. Wenn Cassie – für ihn würde sie immer so heißen – nicht hören wollte, was er ihr zu erzählen hatte, tja, dann musste er irgendwie anders damit zurechtkommen. Aber hierzubleiben, während seine Welt in Scherben lag, war auch keine Alternative. Es war viel zu riskant, und obwohl es ihm im Lauf der letzten Jahre problemlos gelungen war, sein Leben in Schutt und Asche zu legen, hegte er doch keine Selbstmordgedanken.
    Als Ray die Treppe in Lucys Bein hinuntergehen wollte, hörte er unten etwas. Er blieb stehen und wartete.
    Jemand hatte die Tür geöffnet.
    »Cassie?«
    »Nein, Ray.«
    Sein Mut sank, als er die Stimme erkannte. Es war Detective Broome.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Ray.
    »Wir haben Ihr Handy geortet. Kein Problem, wenn es eingeschaltet ist.«
    »Oh, klar.«
    »Es ist vorbei, Ray.«
    Er sagte nichts.
    »Ray?«
    »Ich hab’s gehört, Detective.«
    »Ein Fluchtversuch würde nichts bringen. Der Elefant ist umstellt.«
    »Okay.«
    »Sind Sie bewaffnet?«
    »Nein.«
    »Ich bin hier, um Sie festzunehmen, Ray. Haben Sie das verstanden?«
    Da Ray nicht wusste, was er sagen sollte, antwortete er nur: »Ja, das hab ich.«
    »Dann tun Sie uns beiden einen Gefallen«, sagte Broome. »Lassen Sie es uns so einfach und sicher wie möglich über die Bühne bringen. Knien Sie sich hin und legen Sie beide Hände auf den Kopf. Dann lege ich Ihnen die Handschellen an und lese Ihnen Ihre Rechte vor.«

SECHSUNDDREISSIG
    A m nächsten Morgen um acht Uhr wachte Megan auf und fand sich in einer Welt voller Schmerzen wieder. Es war in so vielerlei Hinsicht eine lange Nacht gewesen – in erheblichem Ausmaß hatte auch der emotionale Tribut dazu beigetragen, den sie dafür bezahlt hatte, Dave die ganze Wahrheit über ihre Vergangenheit zu erzählen –, und jetzt schrie jede Faser ihres Körpers vor Schmerz. Am schlimmsten war es im Arm. Der fühlte sich an, als wäre er von einem Tiger zerfleischt und hinterher in einen Mixer geworfen worden. Währenddessen benutzte jemand ihren Schädel gnadenlos als Amboss. Zunge und Mund waren gleichzeitig trocken wie die Sahara und pelzig wie beim schlimmsten vorstellbaren

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