Wer hat Alice umgebracht?
Hoffnung.
So schnell wie möglich lief ich zum Fluss hinunter. Als ich auf einer der Brücken den Clyde überquerte, klopfte mein Herz bis zum Hals. Zum Glück trug ich wenigstens keine Gefängniskleidung. In Jeans und Harrington-Windjacke sah ich aus wie unzählige andere Glasgower Mädels in meinem Alter. Diese Unauffälligkeit war meine beste Tarnung.
Arthur Elliot hatte sein Atelier in einer Straße, in der sich ansonsten nur Speditionen, Lagerhäuser und Autowerkstätten befanden. Dort störte es niemanden, wenn er bei seinen Metallarbeiten einen Höllenlärm veranstaltete. Außerdem hauste er auch in seinem Atelier. Einige kleinere Räume nach hinten heraus dienten zu Wohnzwecken. Ein besseres Versteck konnte man sich kaum vorstellen.
Als ich endlich die Sackgasse westlich der viel befahrenen Paisley Road erreichte, war ich fast am Ende meiner Kräfte. Immerhin bewies mir ein rhythmisches Metallklirren, dass der Bildhauer daheim sein musste.
Und so war es auch. Die Tür zu seiner Werkstatt stand halb offen. Ich ging hinein und entdeckte ihn sofort. Arthur Elliot hatte mir den Rücken zugekehrt und bearbeitete eine verrostete alte Motorhaube mit einer Metallsäge. In seinem blauen Overall wirkte er weniger wie ein Künstler als wie ein Mechaniker. Seine grauen Haare und der struppige Bart waren ungepflegt wie eh und je. Aber als ich Elliot umrundet hatte und mich in sein Gesichtsfeld schob, leuchteten seine wasserblauen Augen. Sofort ließ er sein Werkzeug sinken und machte einen Schritt in meine Richtung.
„Lindsay! Das ist aber eine nette Überraschung.“
Offenbar freute sich der alte Bildhauer wirklich, mich zu sehen. Vor Erleichterung brach ich schon wieder in Tränen aus. Aber jetzt hatte ich endlich das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Elliot legte die zersägte Motorhaube zur Seite und nahm mich in die Arme. Meine Schultern zuckten. Ich war total von der Rolle.
„Beruhige dich doch. Habe ich etwas Falsches gesagt? – Nein, offenbar steckst du in Schwierigkeiten.“
Elliot sah auf meine Unterarme. Der Kapuzenpullover war heruntergerutscht, und der alte Mann erblickte meine Handschellen. Aber er reagierte genau so, wie ich es mir von ihm erhofft hatte. Elliot blinzelte mir verschwörerisch zu und griff wieder zu seiner Metallsäge.
„Na, dann werde ich dich mal von diesem unfreiwilligen Körperschmuck befreien, was? Ich wette, dass eine junge Lady wie du viel lieber andere Armbänder trägt.“
Der trockene Humor des Bildhauers brachte mich zum Grinsen, ich hatte schon wieder mit dem Weinen aufgehört. Es waren ohnehin nur Tränen der Erleichterung gewesen. Denn traurig war ich nicht. Genau genommen erlebte ich gerade die glücklichsten Momente seit meiner Verhaftung. Elliot brauchte nicht länger als eine Viertelstunde, bis die aufgesägten Handschellen auf den schmutzigen Holzboden seines Ateliers fielen. Nun fühlte ich mich wirklich frei.
Um mich von meinen Sorgen abzulenken, schaute ich mich neugierig um. Elliot schweißte und hämmerte die absonderlichsten Fabelwesen aus Metallschrott. Seit ich mein Praktikum bei ihm gemacht hatte, waren noch einige neue Skulpturen hinzugekommen, andere waren verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sie verkauft, obwohl Elliot kein guter Geschäftsmann war. Soweit ich wusste, lebte er von der Hand in den Mund. Aber das schien ihn nicht besonders zu stören.
Zufrieden betrachtete Elliot die Überreste der kaputten stählernen Handfesseln.
„So, das wäre erledigt. – Du siehst mir ganz so aus, als ob du einen Tee vertragen könntest.“
Ich nickte dankbar und folgte dem Bildhauer in seine chaotische, gemütliche Küche, die sich direkt hinter dem Atelier befand. Dort hingen Poster von Jim Morrison, Janis Joplin und anderen Rockgrößen längst vergangener Zeiten an den Wänden. Elliots Musikgeschmack war von vorgestern, aber er hatte mehr Power und Energie als so mancher Typ in meinem Alter. Das ständige Arbeiten mit schwerem Metall war schließlich kein Job für Schwächlinge.
Der alte Bildhauer braute eine Kanne mit extra starkem Darjeeling-Tee für uns. Außerdem bereitete er für mich einen Haufen Sandwiches mit Käse und Corned Beef zu. Vermutlich ahnte er, wie hungrig ich war. Elliot drehte sich eine Zigarette und schaute mir schmunzelnd beim Essen und Trinken zu. Er rauchte, während meine Lebensgeister allmählich zurückkehrten.
Nun erzählte ich ihm unaufgefordert alles, was passiert war. Elliot konnte gut zuhören. Ich hatte das
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