Wer hat Alice umgebracht?
Gefühl, als würde er meinen Worten konzentriert lauschen. Erst als mir selbst nichts mehr einfiel und ich verstummte, öffnete er den Mund.
„Tja, meine Lieblingspraktikantin steckt offenbar in großen Schwierigkeiten. Das tut mir sehr leid für dich, Lindsay. Wenn du meine Meinung hören willst: Du hast diese Alice nicht getötet.“
„Danke, Onkel Arthur“, platzte ich heraus. So hatte ich ihn schon während des Praktikums genannt. „Danke, dass wenigstens du an mich glaubst. Ich fürchte, sogar mein eigener Anwalt hält mich für schuldig.“
Elliot machte eine zustimmende Kopfbewegung und drückte seine Zigarettenkippe im Aschenbecher aus.
„Du darfst das der Polizei und der Justiz nicht übel nehmen, Lindsay. Das sind brave, aber furchtbar fantasielose Leute. Sie sehen nur das, was man ihnen als scheinbare Fakten unter die Nase reibt. Und die Falle, in die du getappt bist, ist leider ziemlich ausweglos.“
„Dann glaubst du also auch, dass man mir eine Falle stellen wollte?“
„Ja. Man will dir den Mord in die Schuhe schieben, Lindsay. Und daran hat sich wahrscheinlich auch das Opfer selbst beteiligt.“
„Alice? Wie kommst du denn darauf? Okay, sie konnte mich nicht ausstehen. Aber sie wird sich doch nicht umbringen lassen, nur um mich hinter Gitter zu bringen.“
„Nein, das nicht. Vielleicht ist die Sache ja aus dem Ruder gelaufen. Es wäre vorstellbar, dass ihr Komplize plötzlich den Plan geändert hat. – Denk nur an das Tagebuch, von dem dieser Inspektor dir gegenüber gesprochen hat. Darin hat Alice geschrieben, dass du sie verfolgen würdest.“
„So was habe ich nie getan. Ich war froh, wenn ich sie mal nicht sehen musste. Ich habe Besseres zu tun, als ihr in meiner Freizeit nachzusteigen.“
„Das glaube ich dir, Lindsay. Also gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Alice die Tagebucheintragungen selbst gemacht, um dich zu belasten. Oder jemand hat ihre Handschrift gefälscht, um den gleichen Effekt zu erzielen. Doch die zweite Variante wäre riskanter, weil die Polizei imitierte Handschriften durch Vergleichsverfahren leicht nachweisen kann. Also war Alice zumindest in die Verschwörung gegen dich verwickelt.“
Ja, Elliots Überlegungen leuchteten mir ein. Vielleicht hatte ja jemand ein doppeltes Spiel gespielt? Eine Person, die sowohl Alice als auch mich beseitigen wollte? Wenn das so war, dann hatte dieser Jemand ganze Arbeit geleistet. Alice war tot, und ich würde lebenslänglich hinter Gittern verschwinden, sobald die Polizei mich wieder aufgriff. Aber wer hasste uns beide so abgrundtief?
Während ich noch darüber nachgrübelte, ertönten plötzlich Schritte in Elliots Werkstatt. Ich wollte erschrocken aufspringen und mich irgendwo verstecken, aber der alte Bildhauer legte mir beruhigend seine Hand auf den Unterarm.
„Nur keine Panik, das ist mein Neffe. – Cameron, wir sind hier in der Küche!“
Ich bekam beinahe einen Herzkasper, und das aus verschiedenen Gründen: Ich meine, Arthur Elliot vertraute ich sozusagen blind. Aber das musste ja nicht gleichermaßen für seinen Verwandten gelten, oder?
Dieser Cameron betrat grinsend die Küche, wobei er die Überreste meiner Handschellen zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Er wusste oder ahnte nun also, dass ich eine geflohene Strafgefangene war. Doch auch diese Erkenntnis machte mich nicht wirklich unruhig.
Vielmehr wurde mir bewusst, dass ich Cameron kannte.
Er war nämlich eines der männlichen Modelle aus dem Aktzeichenkurs von Professor Myers!
Im letzten Semester hatte ich viel Zeit damit verbracht, jeden Quadratzentimeter seines Körpers anzuschauen und möglichst naturgetreu auf die Leinwand zu bannen. Und ehrlich gesagt, ist dieser Typ ein richtiger Hingucker. Cameron hatte nicht nur ein markantes männliches Gesicht, sondern auch einen athletischen, durchtrainierten Körper. Und er war in jeder Hinsicht gut gebaut, wenn Sie verstehen …
Jedenfalls wurde ich knallrot, als ich ihn nun wieder vor mir sah. Bei unseren letzten Begegnungen war er splitternackt gewesen, und die Erinnerung an seinen Body hatte mir so manche unruhige Nacht beschert.
Seine grünen Augen blitzten auf, und er fuhr sich mit der linken Hand durch sein wuscheliges kastanienbraunes Haar. Offenbar hatte auch er mich wiedererkannt.
„Du warst doch in dem Aktzeichenkurs von Professor Myers, nicht wahr? Hast du jetzt umgesattelt? Bist du neuerdings Entfesselungskünstlerin?“
Mir blieb die Luft weg. Sollte ich mich
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