Wer hat Angst vor Beowulf?
vergessen, seit er seine sterbliche Hülle auf dem Schlachtfeld von Rolfsness verlassen hatte und lediglich in Form einer äußerst schmachvollen Existenz als schlechte Idee geflohen war.
Der Zaubererkönig stützte sich mit den Ellbogen auf dem Schreibtisch ab und versuchte sich das ›Glück von Caithness‹ vorzustellen, diesen ärgerlich unzuverlässigen Bestandteil eines mittelalterlichen Schaltkreises. Als Kunstwerk hatte es ihm nie sonderlich gefallen, als Schaltplan verfolgte es ihn bis in die Träume. Er strapazierte immer wieder sein Gedächtnis, um sich an die damit zusammenhängenden verzwickten Einzelheiten zu erinnern. Die Granateinlagen und Steine, die der unbekannte Kunsthandwerker in das Gold eingearbeitet hatte, waren natürlich nichts anderes als Mikrochips von einzigartigem Einfallsreichtum, und die unendliche kontinuierliche Größe der ineinandergreifenden Konstruktionsbausteine verlieh dem System eine solche Macht, daß kein Nachfolger hoffen konnte, damit zu konkurrieren oder es gar zu beherrschen.
Der Zaubererkönig schüttelte den Kopf und schlug die geballten Fäuste zusammen. Um diesen Tag zu vermeiden, hatte er alles getan, was in seinen Kräften stand, und alle denkbaren Vorbereitungen getroffen. Als es jetzt allerdings soweit war, fühlte er sich niedergeschlagen und entmutigt. Aber selbst wenn das Schlimmste einträfe, wäre er wenigstens noch das, was er stets gewesen war, und die guten alten Bräuche waren immer noch die besten. Er stand vom Schreibtisch auf und kramte den Schlüssel zu der massiven Eichentruhe aus der Tasche hervor, die zwischen den Stahlrohrmöbeln seines Büros gänzlich fehl am Platz wirkte. Das Schloß gab nur mühsam nach, aber mit ein wenig Gewalt ließ es sich schließlich öffnen. Er klappte den Deckel hoch und hob ein längliches Bündel aus der Truhe, das in purpurfarbenen Samt eingeschlagen war. Er atmete tief durch und zog behutsam die Seidenschnüre auf, mit denen das Bündel zusammengehalten wurde. Eine goldene Scheide mit eingelegten Verzierungen kam zum Vorschein, in der ein langes Schwert von einmaliger Schönheit steckte. Er zog es heraus und fuhr mit dem Daumen über die Klinge, die nach all den Jahren noch immer scharf war. Dann schwang er sie in Zeitlupe nach allen Richtungen, und der Druck ihres Gewichts auf die Unterarmmuskulatur ermahnte ihn daran, der bevorstehenden Gefahr zu trotzen. Mit wütendem Schnauben schwang er das Schwert hoch über den Kopf und schlug es mit ungeheurer Wucht quer durch einen dunkelgrünen Aktenschrank, wobei sämtliche Ordner von A-J in zwei Hälften gespaltet wurden. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür.
Eigentlich hatte der junge Mann das Büro seines Chefs gar nicht erneut aufsuchen wollen. Als er den Türknopf drehte, hörte er ein unheimliches Schlaggeräusch, und er hätte fast auf der Stelle seine Mission abgebrochen, aber diese Briefe mußten unbedingt unterschrieben werden.
Der Zaubererkönig hatte das Schwert gerade erst aus dem Aktenschrank herausgezogen und kam sich nun ziemlich albern vor. Entgeistert gaffte er den jungen Mann an, der zunächst mit ähnlich betroffener Miene zurückstarrte, bis er aufgrund seiner jugendlichen Unbekümmertheit die Sprache wiederfand.
»Hat wohl wieder geklemmt, wie?«
»Geklemmt?« Trotz der Klimaanlage schwitzte der Zaubererkönig.
»Der Aktenschrank. Ich glaube, in den Schlössern klebt ’ne Menge Staub.«
Der Zaubererkönig blickte zunächst auf den Aktenschrank und dann auf das Schwert in seinen Händen. »Kommen Sie rein, und schließen Sie die Tür«, forderte er den jungen Mann ungewohnt freundlich auf.
Der junge Mann tat, wie ihm befohlen, und sagte mit nervöser Stimme: »Falls es um die Essensmarken geht, dann kann ich Ihnen das erklären.«
»Das kann ich Ihnen auch«, entgegnete der Zaubererkönig. Obwohl es für ihn dazu keinerlei Veranlassung gab, hatte er plötzlich das Gefühl, dies gern tun zu wollen. Seit mehr als tausend Jahren hatte er dieses Geheimnis für sich behalten und wollte nun mit jemandem darüber reden. Er forderte den jungen Mann auf, Platz zu nehmen, und fragte ihn, was er ihm zu trinken anbieten dürfe. Dann legte er das Schwert ganz beiläufig auf den Schreibtisch und holte aus einer Schublade eine Flasche hervor.
»Das hier sollten Sie mal probieren«, empfahl er dem jungen Mann. »Met. Natürlich nicht mit dem echten Met zu vergleichen, aber immerhin …« Er schenkte zwei Gläser ein und trank seins mit einem Zug
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