Wer hat Angst vor Beowulf?
meine Güte!« rief Hildy entsetzt. »Was war das?«
»Nur ein Wolf, sonst nichts«, sagte Arvarodd und nahm die beiden sich windenden Wachposten noch stärker in den Schwitzkasten. »Aber Moment mal!« Er runzelte die Stirn. »Seit ich in dem Schiff aufgewacht bin, ist mir die ganze Zeit irgend etwas äußerst merkwürdig vorgekommen, aber ich konnte es bislang nicht richtig ausmachen. Keine Wölfe.«
»Es gibt keine Wölfe mehr«, raunte Hildy schwach, und sie bekam eine Gänsehaut. Jedenfalls hatte sie noch nie einen leibhaftigen Wolf gesehen, nicht einmal im Zoo. Allerdings wußte sie noch so viel aus dem Biologieunterricht, daß Wölfe irgendwie mit Hunden verwandt sind – und vor Hunden hatte sie Angst, besonders vor Airedale-Terriern.
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Arvarodd entschieden. In seinen Augen flammte so etwas wie Hoffnung auf, und er betastete seinen wiedergefundenen Armreif. »Zunächst einmal befindet sich gleich am anderen Ende des Flurs ein Wolf. Hier, halt die mal für mich, Vel-Hilda!« Er stieß die beiden Wachmänner zu Hildy hinüber und lief den Korridor entlang. Ohne nachzudenken, ergriff Hildy die Männer beim Kragen, die erst gar nicht zu entkommen versuchten.
»Wo ist er hin?« fragte der König. »Wir haben keine Zeit, hier herumzutrödeln.«
»Er hat einen Wolf gehört«, wisperte Hildy.
»Der und seine verflixten Wölfe!« schimpfte der König ungeduldig. »Der kann wirklich an nichts anderes denken.«
»Aber es gibt keine Wölfe«, beharrte Hildy, »jedenfalls heute nicht mehr.«
»Ach, wirklich?« Der König drehte blitzartig den Kopf herum. »Gibt es die nicht mehr?« Er schaute den Zauberer an. Der nickte. »Das ist ungünstig.«
»Ungünstig?«
»Ungünstig. Weißt du, Vel-Hilda, unser Feind hatte einen Kumpanen namens Thorgeir Sturmhund. Ursprünglich war Thorgeir gar kein Mensch, sondern ein riesengroßer und ungemein bösartiger Timberwolf, der vom Feind durch seine Zauberkünste irgendwann in einen Menschen verwandelt wurde …« Gedankenverloren verstummte der König.
»Und dieser Zauber ist jetzt durch die Brosche, die wir aus dem Museum geholt haben, aufgehoben worden«, ergänzte Brynjolf, der auf einmal sehr nervös wirkte. »Wenn Thorgeir also irgendwo im Gebäude ist, wird er sich in einen Wolf zurückverwandelt haben.«
»Und wer ist diese Person?« fragte Hildy, aber der König gab keine Antwort. »Wir sollten Arvarodd Bescheid geben, daß es sich um keinen gewöhnlichen Wolf handelt«, sagte sie leise. »Andernfalls bekommt er womöglich einen bösen Schock.«
Zufällig war Arvarodd gerade dabei, dies selbst herauszufinden. Die Aufregung der Wolfsjagd hatte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf verscheucht: die Suche nach den Geistern; die Notwendigkeit, das Gebäude schnell wieder zu verlassen; sogar seine Pflicht gegenüber dem König. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, daß Bürogebäude nicht der natürliche Lebensraum für gewöhnliche Wölfe sind, bis er um eine Ecke bog und seinem Gegner plötzlich Aug in Aug gegenüberstand. Er zog das Kurzschwert und wappnete sich gegen den Angriff des Tiers. Dabei fiel ihm gleich auf, daß es sich um einen besonders großen Wolf handelte, größer als jeder andere, den er bei seinen Jagden in Caithness und Sutherland jemals zu Gesicht bekommen hatte. Die Tatsache, daß der Wolf ein sehr dunkles, fast schwarzes Fell hatte, war nicht so ungewöhnlich – melanoderme Wölfe waren schon zu seinen Zeiten nicht selten gewesen –, aber die wie gespenstisches Feuer funkelnden Augen und der aus dem geifernden Rachen tropfende Schaum, der Löcher in die Teppichfliesen brannte, machten ihn zu einem entschieden ungewöhnlichen Tier. Ein richtiges Liebhaberstück, dachte Arvarodd und umfaßte den Schwertgriff noch fester.
Der Wolf hatte es nicht eilig mit dem Angreifen. Er stand da, scharrte am Teppich, knurrte drohend und peitschte den Schwanz hin und her. Eigentlich versuchte Thorgeir Sturmhund, sich daran zu erinnern, wie ein Wolf seine Beute anspringt, und bereute die zweite Portion Käsekuchen, die er heute abend im Weinkeller zum Nachtisch gegessen hatte. Es ist schwer für einen Wolf, sich ausgerechnet mit vollem Magen besonders kampflustig fühlen zu müssen, es sei denn, seine Welpen werden bedroht; und seine Welpen waren, soweit er wußte, im Schlafsaal des College von Harrow vollkommen sicher untergebracht. Er knurrte erneut und zeigte enorme Fangzähne. Arvarodd stand unbeweglich da, genau wie
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