Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
auf der Abbildung in der Trainingsanleitung: Gewicht nach hinten verlagert, den Kopf völlig gerade, die linke Schulter leicht nach vorn geneigt.
    »Nun mach schon!« knurrte der Wolf.
    Arvarodd hob eine Augenbraue. Sprechende Wölfe waren eine Neuheit für ihn, und er hielt es für absolut unmoralisch. »Hast du was gesagt?« fragte er kalt.
    »Ich sagte, nun mach schon!« antwortete der Wolf. »Oder hast du Angst?«
    »Wenn ich Angst hätte, stünde ich nicht hier«, empörte sich Arvarodd. »Dann würde ich ja wohl durch den Flur abhauen, oder?«
    »Aber nicht, wenn du so große Angst hast, daß du dich nicht mehr vom Fleck rühren kannst«, entgegnete der Wolf. »Dann stündest du wie hypnotisiert da und würdest darauf warten, daß ich dich anspringe. Kaninchen machen das immer so.«
    »Ich bin kein Kaninchen«, stellte Arvarodd klar, »und ich bin auch nicht hypnotisiert. Und dumm bin ich erst recht nicht. Es ist dein Job, andere anzugreifen.«
    »Das glaubst auch nur du«, knurrte der Wolf. »Also laß uns aufhören zu schwatzen und zur Sache kommen. Es sei denn«, fügte er hinzu, wobei er versuchte, unbeteiligt zu klingen, »wir blasen dieses Spielchen lieber gleich ab.«
    »Wir machen was?«
    »Ich meine«, fuhr der Wolf fort und entspannte sich etwas, »du willst doch gar nicht kämpfen, und ich wäre nur in den Arsch gekniffen, wenn ich als erster angreife. Also können wir hier entweder die ganze Nacht warten, bis der Zaubererkönig irgendwann auftaucht und dich in einen Haufen Asche verwandelt, oder wir gehen getrennter Wege und reden nicht mehr darüber. Es liegt ganz bei dir, wirklich.«
    »Du bist gar kein echter Wolf, stimmt’s?« fragte Arvarodd.
    »Sei nicht blöd«, antwortete der Wolf und knurrte überzeugend. Aber Arvarodd war etwas eingefallen.
    »Unser Feind hat einen Handlanger namens Thorgeir«, sagte er. »Einen üblen Kerl. Nach allem, was man hört, ist der früher mal ein Wolf gewesen. Natürlich kein reinrassiger Wolf.« Der Wolf knurrte und peitschte mit dem Schwanz. Arvarodd tat so, als bemerkte er es nicht. »Soweit ich mich erinnere, gab’s da mal eine Geschichte mit seiner Mutter und einem großen gestreiften Schäferhund …«
    Der Wolf setzte zum Sprung an, aber Arvarodd war darauf vorbereitet. Er machte einen Schritt zur Seite und schlug mit dem Schwert beidhändig auf den Nacken des Tiers (Mit viel Unterhand, und stets daran denken: immer locker aus dem Handgelenk!). Aber der Wolf mußte entweder geahnt haben, daß er zuschlagen würde, oder aber er war instinktiv ausgewichen; Arvarodds Schlag ging jedenfalls über das Ziel hinaus, so daß er mit den Unterarmen auf dem Rücken des Wolfs aufschlug und ihm das Schwert aus den Händen flog. Der Wolf landete, drehte sich um und setzte zu einem erneuten Sprung an. Arvarodd warf einen kurzen Blick zu dem Schwert hinüber, das auf der anderen Seite des Flurs lag, und ballte die Fäuste. Während er sich innerlich auf die nächste Attacke des Wolfs vorbereitete, dachte er an die Worte seines Trainers, was zu tun ist, wenn man einem wütenden Wolf entwaffnet gegenübersteht. ›Stell dich schön nach vorn gebeugt hin, und stütz die Füße gut ab‹, hatte er gesagt. ›Auf diese Weise kann dir der Wolf vielleicht das Genick brechen, aber er hat überhaupt keine Chance, die Zähne in dich zu graben.‹
    »Die Geschichte hab ich sowieso nie geglaubt«, sagte er laut. »Ich hasse bösartige Gerüchte, du nicht auch?«
    »Nein«, zischte der Wolf und sprang ihm an die Kehle.
     
    »So ein Mist!« fluchte der König. »Seht nur, von der Brosche hat sich irgendein Draht gelöst.«
     
    Als der Wolf sich mitten in der Luft in einen splitternackten Geschäftsmann mittleren Alters zurückverwandelte, war Arvarodd verständlicherweise überrascht, aber zugleich auch hocherfreut. Instinktiv startete er einen gelungenen Gegenangriff und schleuderte seinen Gegner durch eine Spiegelglastür. Dann griff er nach dem Schwert. Aber Thorgeir hatte den Vorteil der besseren Ortskenntnis. Er sprang auf und lief davon. Nach einer kurzen Jagd durch ein Labyrinth von Büros und Fluren gab Arvarodd auf. Schließlich konnte sich sein Feind jeden Augenblick wieder in einen Wolf zurückverwandeln, und er selbst war offensichtlich etwas aus der Übung. Er verfolgte die eigene Spur zurück und stieß am Aufzugsschacht auf den König und auch die anderen.
    »Wo, zum Teufel, bist du gewesen?« fragte der König.
    »Da war dieser Wolf«, rechtfertigte sich Arvarodd.

Weitere Kostenlose Bücher