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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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musste mich hinsetzen», erklärte mir Jasper. «Und dann bin ich fast geplatzt vor Wut. Ich musste mich schwer zusammenreißen, um nicht ins Haus zu rennen und ihn mir einfach zu schnappen. Ich hab’s gewusst. Ich hab
gewusst
, dass er’s war. Ich hab einfach nur dagesessen und das Wort angestarrt. Es immer und immer wieder gelesen.»
    Jasper machte eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden, während mein Hirn diese Information langsam hin und her wälzte.
    «Bist du sicher, dass es genauso aussah wie das Wort am Baum? War es die gleiche Schrift?», fragte ich ihn.
    «Es war das gleiche Wort», erklärte er und blies den Rauch aus.
    «Blas den Rauch vom Fenster weg», zischte ich und kam mir wie ein Bubi vor. «Sonst kriegen sie mich auch noch wegen Rauchen dran, und dann stecke ich hier fest, bis ich verschimmelt bin.»
    «Mist, tut mir leid, Kumpel.» Jasper wedelte seinen silbrigen Atem fort und grinste.
    In der kurzen Stille, die folgte, versuchte ich, mir die Geschichte durch den Kopf gehen zu lassen. Sie war zweifellos faszinierend. Sollte das die Wahrheit sein? Wurde Lionel dadurch tatsächlich belastet? Vielleicht hatte Jasper die ganze Zeit über recht gehabt. Doch wem galt diese Entschuldigung? Wenn die eingeritzten Worte wirklich so alt waren, wie Jasper behauptete, dann
mussten
sie jemand anderem gelten als Laura. Aber wem? Das ergab für mich keinen Sinn. Es wirkte alles so rätselhaft und zusammenhanglos.
    «Ich weiß nicht, Jasper. Es könnte alles nur Zufall sein», versuchte ich zu argumentieren.
    «Was? Hör zu, Charlie, so was wie Zufall gibt es nicht. Denk doch mal nach. Denk an all das, was wir schon
wissen
. Jack Lionel kommt jedes Mal rausgelaufen, ohne Ausnahme, winkt und schreit mir hinterher, weil er ein verrückter alter Schweinehund ist. Außerdem wissen wir, dass er schon mal jemanden umgebracht hat. Und jetzt seine hingekritzelten Schuldeingeständnisse überall. Komm schon, Charlie. Er war es. Er hat sie umgebracht. Es passt alles zusammen. Und es ist einleuchtend. Es ist das, was ihn mit der Sache verbindet, mit meiner Lichtung und mit Laura. Wir wussten es von Anfang an, und jetzt können wir es beweisen.»
    Stirnrunzelnd ließ ich mir die beiden Entschuldigungen durch den Kopf gehen. Die eine geflüstert, die andere geschrien. Die eine in Holz geritzt, die andere in Blech gekratzt. Es war bezwingend, das musste ich zugeben. Es
fühlte
sich wirklich wie ein echter Hinweis an. Und Jaspers Gewissheit war verlockend. Ich war mehr als versucht, ihm zuzustimmen und zum Angriff zu blasen, nur um das Rätsel zu lösen und der Sache ein Ende zu machen.
    Doch wenn ich Jasper nützlich sein wollte, musste ich gerecht und logisch sein, wie Atticus oder mein Vater. Kritisch. Ich musste den Kampf mit Fragen führen. Wenn es wirklich einleuchtend war, musste es auch mir einleuchten.
    «Aber wenn Mad Jack Lionel so ein gefährlicher Krimineller ist», flüsterte ich, «warum war die Polizei dann noch nicht bei ihm? Warum haben sie ihn nicht schon verhört oder festgenommen? Wenn an seinem Ruf etwas dran ist, wäre er doch der Erste, mit dem ich reden würde, wenn ein junges Mädchen verschwindet. Ich meine, kann es nicht sein, dass er gar nicht der ist, für den wir ihn halten?»
    «Zunächst mal, Charlie, wissen wir ja, wie schlau die hiesige Polizei ist. Außerdem wissen wir nicht, ob sie sich Lionel nicht schon vorgeknöpft haben. Ich überwache sein Haus nicht pausenlos. Wer weiß? Vielleicht haben sie ihn schon abgeholt. Vielleicht war er bei ihnen und hat deshalb nicht nach mir gerufen in den vielen Nächten, in denen ich auf ihn gewartet hab.»
    «Dann glaubst du also, dass sie schon mit ihm geredet haben?»
    «Ich will damit sagen, dass sie es
vielleicht
schon gemacht haben. Das eigentliche Problem der Polizei ist doch, dass sie gar nicht wissen, was sie da untersuchen. Verstehst du? Sie wissen bloß, dass Laura verschwunden ist. Mehr haben sie nicht. Sie gehen immer noch davon aus, dass sie aus eigenen Stücken verschwunden und in die Großstadt abgehauen ist. Einen Mörder sucht man erst, wenn man weiß, dass jemand umgebracht wurde.»
    «Stimmt», pflichtete ich ihm bei. Ich spürte, dass Jasper ungeduldig war, als habe er so schon einmal argumentiert.
    «Jedenfalls», fuhr er fort, «hat er mich erwischt.»
    «Was sagst du da?»
    Mit einem langsamen Nicken zerdrückte Jasper seine Zigarette auf dem Fensterbrett. «Ja. Ich hab nämlich eine Weile dagesessen und dann beschlossen,

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