Wer hat Angst vor Jasper Jones?
noch mal zurückzugehen und mir die Sache genauer anzusehen, bevor ich verschwinde. Jetzt, wo ich mir sicher war, dass er es war. Aber als ich wieder in Sichtweite des Hauses kam, stand er da, auf der Hintertreppe, und hat mich angestarrt.»
«
Himmel.
Und was hat er gemacht?»
«Eigentlich gar nichts. Dafür hab ich mich nicht lang genug dort aufgehalten. Aber ich war sauer auf ihn. Ich hab den Arm ausgestreckt und gerufen:
Ich hab’s gewusst! Ich hab gewusst, dass du es warst!
Dann bin ich auf dem gleichen Weg getürmt, auf dem ich hergekommen bin.»
Ich schüttelte den Kopf und fluchte.
«Ich weiß», sagte Jasper leise. «So nah bin ich ihm noch nie gekommen. Er ist gar nicht so alt, wie ich gedacht hab. Ich hätte dableiben sollen, aber ich war so wütend, dass ich womöglich über ihn hergefallen wär.»
«Hat er dich angebrüllt?»
«Nö, das ist es ja gerade. Er hat kein Wort gesagt, stand einfach bloß auf seiner Hintertreppe.»
Ich schwieg und sah zu Boden.
«Und was hat das alles zu bedeuten?»
«Es bedeutet, dass wir Bescheid wissen, Charlie. Dass wir es genau wissen.»
«Aber tun wir das?» Ich kratzte mich am Kopf. «Ich weiß nicht, Jasper. Es ist ungewöhnlich, das gebe ich zu. Aber
genau
wissen wir es eigentlich nicht, oder? Um jemand anderen zu überzeugen, brauchen wir Zeugen und all das. Etwas, das ihn unbestreitbar damit in Verbindung bringt.»
«Ja, und das holen wir uns als Nächstes», sagte Jasper nur.
«Gut, und wie?»
«Wir bringen ihn dazu, alles zu gestehen.»
Noch bevor ich die nächste Frage anbringen konnte, klopfte es dreimal heftig an die Tür, und meine Mutter rief in scharfem Ton meinen Namen. Ich verscheuchte Jasper mit einer Handbewegung, und er verschwand. Sie platzte ins Zimmer wie ein Überfallkommando.
«Immer mit der Ruhe», sagte ich zu ihr. «Ich habe nur versucht, das Fenster aufzumachen. Der Hebel saß fest.»
Sie spähte in meinem Zimmer herum wie ein Raubvogel.
«Hast du geraucht? Ich rieche Rauch. Willst du deshalb das Fenster öffnen?» Mit strenger Miene beugte sie sich vor und suchte nach einem vertretbaren Grund, mich zu Klump zu schlagen. Seit zwei Wochen machte sie das so, kam angespannt, kurz angebunden und misstrauisch ins Zimmer, als habe sie mich im Verdacht, einen Fluchttunnel zu graben oder kommunistische Spione zu verstecken. Sie war aggressiver als je zuvor und verhielt sich genau so, wie ich mir immer einen Gefängniswärter vorgestellt hatte, nur ohne Uniform und Schlagstock oder gelegentliche menschliche Anwandlungen.
«Was? Natürlich nicht», erwiderte ich und ließ meinen Gesichtsausdruck eine Mischung aus Verwirrung und Gekränktheit annehmen.
Sie schnaubte, kniff die Augen zusammen und ging.
Ich hatte sie bloßgestellt in jener Nacht, als man mich erwischte, das wusste ich. Ich hatte die schöne Fassade eingerissen, den Familiennamen und ihren Ruf beschmutzt. Zungen wurden gewetzt. Und Verleumdungen von Klatsch und Tratsch wie Pusteblumen im Wind verbreitet. Die Landfrauen-Brigade und die Badminton-Tratschen schnalzten mit den Zungen wie die Geier. Ich war nicht länger das Vorzeigekind und sie keine Vorzeigemutter mehr. Und ein kleiner, hämischer Teil von mir war begeistert darüber und regelrecht stolz.
Nachdem sie die Tür wieder zugemacht hatte, starrte ich aus dem Fenster. Ich wartete die ganze Nacht auf Jasper, doch er kam nicht zurück.
Es ist drei Nächte her, seit ich Jasper das letzte Mal gesehen habe, und ich sprudele über vor Fragen und Neuigkeiten.
Also versuche ich dem Ganzen heute Abend mit Schreiben einen Sinn abzugewinnen. Ich bin unruhig und erregt, nachdem ich den Tag mit Eliza verbracht und Jeffreys Triumph mit angesehen habe. Doch all das wird nach wie vor gedämpft von dem Wackerstein in meinem Bauch, dem Wespennest in meiner Brust und dem Mädchen im Wasser.
Aus irgendeinem Grund kritzle ich als Erstes das Wort oben auf das Blatt und schaue es an. Verzeihung.
Verzeihung.
Ein Wort, das einen verfolgt und beim Lesen schmerzt. Es scheint sich selbst dafür zu entschuldigen, dass es auf dem Blatt steht. Ein Wort, das ebenso eindeutig wie trügerisch ist.
Ich schreibe um es herum. Kritzle und spinne es fort. Verleihe ihm Hintergrund und Dialoge. Gebe ihm Namen und Orte, Atem und Stimme. Ich schreibe schnell und schludrig. Ich kaue auf meinem Wangenfleisch herum und merke kaum, dass ich Blut schmecke.
Mir wird klar, dass es ein gutes Wort ist, das von guten Menschen verwendet wird. Niemand ist ganz
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