Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Glasknochenkrankheit unangenehm bemerkbar machen.»
Jeffrey schüttelt den Kopf.
«Siehst du? Genau das meine ich. Du bist einfach unfähig, auch nur die elementaren Grundlagen des Nahkampfes zu begreifen. Der Waschlappen in dir ertränkt jede Information. Du bist und bleibst eben ein Idiot. Schnick du nur weiter Steine übers Wasser oder flechte Ketten aus Gänseblümchen, such von mir aus nach dem Regenbogen oder schreib irgendwelche blöden Sonette.» Jeffrey hebt seinen Schläger auf und schüttelt den Kopf.
«Gern», sage ich lachend. «Und du tätschelst deinen Feinden weiter mit der Faust die Schulter.»
«Das ist Explosivkraft, du Blödmann!»
«Du willst Explosivkraft? Dann sperr die Augen auf, kleiner Mann.»
Ich marschiere zu meinem Anlaufpunkt. Jeffrey schaut sich auf seinem imaginären Spielfeld um. Und ich renne los.
Natürlich drischt er meine Bälle in alle Himmelsrichtungen davon. Er hat einfach ein viel zu gutes Auge. Er erfindet Schläge und macht mit dem Ball, was er will. Das ist wirklich frustrierend, denn meine Bälle haben heute eine recht ordentliche Linie und Länge. Langsam habe ich das Gefühl, dass er sich für meine Respektlosigkeit rächen will.
Zum ersten Mal habe ich keine Angst, den Ball zurückzuholen. An Lus Garten ist jetzt eine graubraune Brache. Ein klumpiges, kahles Stück Erde. Die Insekten sind im Exil.
Nur vor der Veranda ist ein bunter Fleck. Als sich herumsprach, was passiert ist, haben einige Leute aus der Stadt für An Lu Setzlinge, Ableger und Blumen aus ihrem eigenen Garten vorbeigebracht. Natürlich sind sie nicht annähernd so hübsch und exotisch wie Ans Zucht, trotzdem war es nett von ihnen. Vermutlich war es ihre Art zu sagen, dass ihnen leidtut, was geschehen ist. Allerdings frage ich mich, ob sie auch etwas vorbeigebracht hätten, wenn sein Garten nicht geschleift worden wäre. Niemand hat Mrs. Lu getröstet, nachdem sie von Sue Findlay verbrüht und beschimpft worden war. Vielleicht hatten die Leute das Gefühl, selbst einen Verlust erlitten zu haben, weil An Lus Garten etwas Schönes war, an dem alle teilhaben konnten.
Mein Magen gurgelt und rumort. Ich habe heute Morgen das Frühstück ausgelassen. Überhaupt habe ich in letzter Zeit nur wenig gegessen. Meine Gedärme sind eine Nisthöhle für Schmetterlinge. Jeffrey meint, ich leide unter einem verliebten Magen, einer bekannten Nebenwirkung, die auf zu viele Tuttelstündchen zurückzuführen sei. Ich lebe von gelegentlichen Butterbroten und gesüßtem Pablo-Kaffee. Selbst meine Mutter hat es aufgegeben, mich zwangsernähren zu wollen. Inzwischen zuckt sie nur noch die Achseln und erinnert mich daran, ihr keine Vorwürfe zu machen, wenn ich den Geist aufgebe.
Dafür müsste ich Eliza Wishart verantwortlich machen. Jedes Mal, wenn ich an sie denke – was häufig der Fall ist –, verkrampfe ich mich, mein Magen zieht sich zusammen, und ein seltsames Gemisch aus Angst und Begeisterung durchströmt meine Adern. Nachts träume ich davon, sie zu treffen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, von hinten durch ihren Garten zu schleichen und wie Jasper Jones an ihr Fenster zu klopfen. Durch die Sonnenblumen zu schauen, die auf ihrem Fensterbrett stehen und sie auf dem Bett lesen zu sehen. Ihr einen liebevollen Gruß zuzuflüstern, wenn sie zu mir herüberkommt, und aufzupassen, dass man uns nicht erwischt. Sie zu fragen, ob es ihr gutgeht. Ihr die Hand an die Wange zu legen und sie wieder zu küssen. Und vielleicht wäre dieses Mal ich es, der sich zuerst vorbeugt. Vielleicht würde ich ihre Hand halten. Sie drinnen und ich draußen.
Doch das kann ich nicht. Natürlich nicht. Das weiß ich. Und es macht mich schrecklich einsam. So sehr, dass es weh tut.
Auch Jasper habe ich nicht mehr gesehen, seit er das letzte Mal bei mir war. Ich mache mir Sorgen, weil er so angespannt und entschlossen wirkte. Ich habe Angst, dass er etwas unternommen haben könnte. Dass sie ihn vielleicht gefasst haben. Die Polizei. Oder sein Vater. Oder Mad Jack Lionel.
Ich muss ihn unbedingt bald sehen. Merkwürdigerweise scheint sich meine Aufregung zu legen, wenn ich mit Jasper zusammen bin. Obwohl er es war, der die Gewitterwolken über meinem Kopf überhaupt heraufbeschworen hat, rückt er die Dinge wieder zurecht. Er hat eine Kraft, die ansteckend ist, und davon brauche ich eine Dosis. Unbedingt.
Jeffrey geht geduckt in Stellung. Wieder renne ich los. Diesmal prallt der Ball beim Aufkommen an einem Schotterstein ab und
Weitere Kostenlose Bücher