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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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hasse.»
    Wie unheimlich und verdichtet diese Nacht doch ist. Und wie verlassen und verstört ich bin. Wie eine aufgeschüttelte Schneekugel. In mir tobt ein Schneesturm. Alles, was in meiner Welt fest und sicher war, wurde durcheinandergewirbelt und schwebt jetzt in einem Scherbenregen wieder zu Boden. Ein Buch, das ich auswendig konnte, wurde zerrissen und in die Luft geschleudert. Alles wurde mit lautem Getöse auf den Kopf gestellt, wurde herausgerissen und zerbrochen. Ein Dutzend Katastrophen auf einmal. Ich brauche gar nicht erst anzufangen, die Stücke aufzusammeln und wieder so zusammenzusetzen, wie sie gewesen sind. Es ist, als müsste ich aus meiner eigenen Eierschale kriechen. Und ein bisschen so wie Jasper Jones genieße ich nicht länger das Privileg, mir den richtigen Zeitpunkt dafür aussuchen zu können. Ich kann nicht aus meinem Kokon kommen, wenn ich gewillt und bereit dazu bin. Ich wurde vorzeitig herausgezerrt und in der Kälte liegen gelassen.
    Die Köpfe vom Baum abgewandt, spüren wir dieser seltsamen, leeren Stille eine Zeitlang nach.
    Schließlich schlägt Jasper vor, uns noch einmal umzusehen. Eine letzte, abschließende Überprüfung der Umgebung, bevor wir sie endgültig zerstören. Ich widerspreche nicht, weiche ihm aber nicht von den Fersen und schrumpfe immer mehr in mich zusammen, als wir uns Lauras Leichnam nähern.
    Ich bin viel zu abgelenkt, um mich wirklich auf Details konzentrieren zu können. Ich weiß nicht einmal, wonach ich eigentlich Ausschau halten soll. Fußabdrücke, nehme ich an. Beweise. Ein hingekritzeltes Geständnis. Egal was. Allerdings ist mir ohnehin alles fremd, sodass ich nicht beurteilen kann, was sich verändert hat. Was einmal mehr bestätigt, wie hoffnungslos dieser ganze Schlamassel ist. Und wie schlecht unsere Aussichten sind. Jasper hat die Stirn in Falten gelegt und geht mit leicht vorgebeugtem Oberkörper.
    Im Mondlicht durchkämmen wir die ganze Gegend. Es dauert nicht allzu lange. Als Jasper die letzten umstehenden Büsche untersucht hat und die Hände über ihre skelettartigen Zweige fahren lässt, nickt er zufrieden.
    «Sie müssen auf dem gleichen Weg hergekommen sein, den ich immer gehe. So wie wir vorhin», sagt er schließlich und deutet gedankenverloren auf das Akaziengestrüpp. Er streckt die Hand aus. «Aber sieh mal da drüben, das Gras vor dem Zylinderputzer sieht aus, als hätte jemand drauf rumgetrampelt. Bloß ein bisschen. Keine Ahnung. Muss nichts zu bedeuten haben. Vielleicht hat sie versucht wegzulaufen. Vielleicht auch nicht. Wer weiß. Wir wissen jedenfalls gar nichts. Nicht mal, ob sie sie wirklich erhängt haben. Richtig, meine ich.»
    «Wie meinst du das?»
    «Hier kann alles passiert sein, Charlie. Sie können sie auch umgebracht und hinterher aufgehängt haben, damit es so aussieht, als ob sie es selbst getan hat. Wir wissen es einfach nicht.»
    Ich nicke abwesend und entrückt. Die Vorstellung ist einfach zu viel für mich. Ich frage mich, wie Jasper Jones so ruhig und gelassen bleiben kann. Wie er hier und jetzt solche Überlegungen anstellen kann. Ich folge ihm in einer Art stummer Betäubung.
    Als ich aufschaue, sieht Jasper mich an. Voller Geduld. Die Welt dreht sich.
    «Bist du bereit, Charlie?»
    Ich starre ihn verständnislos an.
    Jasper Jones mustert mich noch einen Moment. Dann befiehlt er mir, an Ort und Stelle zu warten, wofür ich ihm dankbar bin. Meine Füße, meine Sandalen sind am Boden festgewachsen.
    Ich sehe Jasper zum Eukalyptusbaum hinübergehen. Gebückt betritt er die Aushöhlung am unteren Ende des Stamms. Sobald ich ihn nicht mehr sehen kann, werde ich von Ängsten übermannt. Mein Hintern zieht sich zusammen, und in meinem Kopf ist weißer Nebel. Mit einem breiten Messer in der Hand taucht Jasper wieder auf.
    Ich sehe, wie er es in die Gürtelschlaufen seiner abgeschnittenen Hose steckt. Er ist so dicht neben Lauras Körper, so dicht, dass er sie berühren könnte, doch er hält den Kopf gesenkt.
    Jasper fängt an zu klettern. Obwohl ich die Szene aus nächster Nähe beobachte und trotz der beklemmenden Enge der kleinen Lichtung und der stickigen Luft fühle ich mich beim Zuschauen fast gänzlich entrückt. Als würde ich einer Spinne dabei zusehen, wie sie eine Wand hochklettert. Jasper schiebt und zieht sich zu dem großen Astknoten hinauf, und ich muss an Jeffrey Lu denken. Morgen tritt sein Lieblingscricketspieler, Doug Walters, zu seinem ersten Testmatch [1] an. Ich könnte wetten, dass Jeffrey

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