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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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wo nur wir beide hier sind und Vorbereitungen treffen, sie wegzuschaffen, bemüht er sich, ihr ein wenig Würde zuzugestehen, versucht er, sie so zu behandeln, wie er es vielleicht immer getan hat. Ich habe den Eindruck, dass sie sich nähergestanden haben, als Jasper zugeben will. Er scheint es gewöhnt zu sein, sie zärtlich zu berühren. Vielleicht haben sie sich geliebt. Womöglich war sie seine Freundin.
    Jasper zieht einige Male kräftig an beiden Knotenenden. Er fährt mit den Händen über den Stein und wirkt auf bittere Art zufrieden.
    Laura Wishart ist tot und an einen Brocken Granit gebunden. Und Jasper Jones kniet da und hält still Wache neben ihr. Seine Augen verengen sich, er atmet in tiefen Zügen und kauert lange neben ihr. Sieht sie einfach nur an. Als habe er sie gerade sanft in den Schlaf gewiegt und sitze noch eine Weile am Fußende ihres Bettes, bevor er aus dem Zimmer geht.
    Ich weiß nicht, was ich fühlen soll, während ich all das auf mich einwirken lasse. Es ist traurig und voller Wärme, aber auch kalt und surreal. Ich muss mir nicht länger sagen, dass sie tot ist. Ich habe es in ihren Augen gesehen. Ich habe sie berührt. Sie ist nicht mehr hier. Ganz sicher. Sie mag noch warm sein, aber sie befindet sich nicht mehr an diesem Ort. Ich kann es spüren, kann ihre Abwesenheit fühlen. Ob sie an einen anderen Ort geschlüpft ist oder einfach ausgeknipst wurde wie eine Lampe, weiß ich nicht. Aber das scheint jetzt auch keine Rolle mehr zu spielen.
    Jasper Jones lehnt sich zur Seite und rutscht näher an Lauras Gesicht. Er streicht ihr mit dem Handrücken über die Wange. Diesmal sehe ich es genau. Und es versetzt mir einen Stich. Seine Hand gleitet sanft über ihr Gesicht, und ihre Miene verändert sich. Ihre Augen sind geschlossen, aber sie wirkt nicht friedlich. Ich würde ihre Miene gern verändern, ummodellieren. Sie wirkt wie von einer fernen Sorge gequält, als ob sie sich mitten in einem schrecklichen Traum verkrampft. Ich will nicht, dass sie das für immer mit sich trägt. Ich will das nicht tun. Ich will sie nicht zum Grund dieses Tümpels schicken, sie nicht hinter diesen Damm verdammen. Doch ich gehöre dazu. Ich bin Jasper Jones’ Verbündeter. Ich begehe ein Verbrechen. Das hier ist keine ehrenwerte Tat. Seht sie nur an! Seht, was sie uns sagt mit diesen Augenbrauen, ihrem verkniffenen Mund! Sie will das nicht! Sie will nicht fort!
    Jasper steht auf, und ich mache ihm Platz. Er dreht sich um.
    «Also gut, Charlie», sagt er.
    Ich verstehe nicht, was er damit meint, bis er auf sie deutet. Er stellt sich hinter den Stein. Ich soll sie an den Schultern packen, unter den Armen. Das ist meine Aufgabe. Ich soll sie hochheben. Schwer und biegsam wie sie ist, soll ich sie zum Wasser tragen.
    Und ich mache es. Ich bücke mich, packe sie und kämpfe mit ihrem Gewicht. Ringe um mein Gleichgewicht. Oh, sie ist warm. Ihr Kopf rollt auf die Seite. Ich beiße die Zähne zusammen und schnaube durch die Nase, schaue zu Jasper hinüber, der sich den Stein an den Bauch drückt. Wir kommen nicht vom Fleck. Sie biegt sich in der Mitte durch, als läge sie in einer Hängematte. Sie rutscht weg, und das Gleiche geschieht mit ihrem Nachthemd. Ich weiß, dass Jasper sich daran stört, denn er runzelt die Stirn.
    «Bist du so weit?», fragt er.
    «Sie rutscht weg», sage ich. «Ich lasse sie gleich fallen.»
    «Schieb die Ellbogen unter die Arme, dass du sie am Brustkorb zu fassen kriegst. Das ist leichter.»
    Doch das will ich nicht. Im Augenblick habe ich sie unter den Achseln gepackt und verliere abermals den Halt. Mehr will ich von ihr nicht festhalten. Ich will ihre Brust nicht umschlingen. Je mehr ich von ihr berühre, desto schuldiger mache ich mich. Sie rutscht weg. Ich schüttle den Kopf.
    «Sie fällt gleich! Leg sie ab! Leg sie ab!», stöhne ich voller Angst.
    «Vorsicht! Vorsicht!», lautet Jaspers Anweisung, als wäre sie ein empfindliches Möbelstück, das leicht zu Bruch gehen kann. Wir bücken uns und legen sie gleichzeitig ab. Ich schnaufe. Mein zusammengepresster Mund ist völlig ausgetrocknet. Ich atme schwer durch die Nase. Jasper wartet geduldig, obwohl ich spüre, dass er es hinter sich bringen will.
    Ich muss tapfer sein.
    Ich wische mir über die Augenbrauen, lockere die Schultern und drücke das Kreuz durch. Dann wische ich mir die Hände am Hemd ab und blase die Backen auf. Jasper bückt sich und hievt den Stein hoch.
    Mit knapper Not halte ich Laura Wishart unter den Armen

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