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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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ist. Ist sie seitdem noch einmal dort gewesen? Was wird sie tun, wenn sie feststellt, dass Laura nicht mehr dort ist? Soll ich jetzt alles erzählen?
    War Eliza Wishart die Gestalt, die Jack Lionel nicht genau erkennen konnte? War sie es, die Laura in jener Nacht gefolgt ist?
    Die Stadt leert sich allmählich. Die Menge vor dem Hotel Sovereign wurde wieder hineingescheucht. Die Band spielt noch. Das Lagerfeuer hinter der Miners’ Hall ist nur noch ein Haufen glühender Asche. Streunende Hunde umkreisen die Überreste der gebratenen Lämmer und warten darauf, dass die Kohlen abkühlen, damit sie an den Knochen nagen können. Die meisten Familien haben sich zurückgezogen, doch einige sind noch da, um das neue Jahr zu begrüßen. Eilig laufen wir die Hauptstraße entlang. Hoffentlich entdecke ich meine Mutter nicht irgendwo. Die Versammlungshalle ist noch geöffnet, doch der Betrieb dort hat nachgelassen. Und natürlich lässt sich auf der Vordertreppe jemand von einer Krankenschwester die verbrannten Hände versorgen. Einige Pärchen knutschen in der Gasse beim Eisenwarenladen. Sie müssen ziemlich betrunken sein, wenn sie tatsächlich glauben, es könnte sie niemand sehen. Ein großer Kerl übergibt sich am Rand der Veranda des Ladens. Er lehnt an einem Balken und kübelt in die Gosse. Es ist der Sergeant.
    Eliza führt mich am Bahnhof vorbei. Wir reden kein Wort miteinander, doch ich weiß, dass es ihr schlechtgeht. Hoffentlich fängt sie nicht wieder an zu weinen. Je länger wir unterwegs sind, desto sicherer bin ich mir, wohin wir gehen.
    Jetzt haben wir den Stadtrand erreicht, wo es ruhig und still ist. Wir laufen schnell und im Gleichschritt. Ich weiß nicht, wie, aber unsere Hände haben sich wieder gefunden. Wir kommen an das breite Ufer des Corrigan River, zu den großen Wiesen hinter der Brücke. Ich suche immer noch nach etwas, das ich sagen könnte, doch Eliza wirkt so entschlossen, dass ich sie lieber nicht ablenken will.
    Wir schlüpfen unter die lauernd vorgeneigten Papierborkenbäume, an denen die Rinde in Fransen herabhängt. Das Gras am Fluss ist weich, und dank des letzten Regens sprießen überall junge Triebe. Eliza bückt sich, um ein Büschel kleiner Wildblumen auszureißen. Sie nestelt an ihnen herum.
    Und dann entdecke ich unseren Wagen.
    Er parkt am Ufer unter einem Baum. Obwohl er verdeckt im Schatten steht, erkenne ich ihn sofort. Ich bleibe stehen und kneife die Augen zusammen. Eliza zieht an meiner Hand und will mich vorwärtsdrängen, doch dann folgt sie meinem Blick. Ich runzle die Stirn und spreche es geistesabwesend aus:
    «Das ist unser Auto.»
    «Wirklich?», flüstert Eliza.
    Ich nicke und atme tief durch. Ich weiß nicht genau, was ich tun soll. Nach einer Weile gehen wir langsam darauf zu.
    Ich habe eine schreckliche Vorahnung. Es dauert einen Moment, bis ich die Puzzlestücke zusammengesetzt habe, doch dann ergibt alles einen Sinn. Ich schlucke schwer. Mein Wackerstein sinkt tiefer als je zuvor. Ich fühle mich wie dieser Mann aus Frankreich, von dem ich gelesen habe, der unter dem Zwang stand, Münzen zu verschlucken. Als er starb, stellte man fest, dass sein Magen so voll war wie eine prallgefüllte Geldbörse und so schwer, dass er bis ins Becken hinabgerutscht war.
    Ich weiß genau, was ich gleich sehen werde, trotzdem schiebe ich mich näher heran. Zweige knacken unter meinen Füßen. Jetzt bin ich nahe genug, um dort drinnen zwei Menschen zu erkennen. Auf dem Rücksitz. Und das Leuchten heller Haut, die sich zwischen den Schatten hebt und senkt. Nahe genug, um die Heckscheibe zu berühren. Nahe genug, um zu sehen, wie meine Mutter einen Mann umklammert, den ich nicht kenne. Um zu sehen, wie sie zusammenzucken und erstarren, als ich sie störe. Nahe genug, um zu sehen, wie meine Mutter aus dem Wagen starrt und ihre Miene von unterdrücktem Ärger in helles Entsetzen übergeht. Hektisches Gewühle und Entflechten. Ich bin wie betäubt. Ich sehe es unmittelbar vor mir, doch ich fühle mich entrückt.
    Ich trete zurück. Meine Mutter hat sich ungelenk das Kleid wieder hochgezerrt. Der Mann lehnt sich im Sitz zurück. Die Tür geht knarrend auf, und ich drücke Elizas Hand.
    «Charlie! Was machst du hier? Du hast hier nichts verloren! Bist du mir etwa
gefolgt
? Warum bist du nicht zu Hause?»
    Sie ist hysterisch und aggressiv. Sie schreit wie am Spieß und fuchtelt mit den Händen. Ich frage mich, woher sie die Dreistigkeit nimmt, wütend zu sein. Der Geruch von saurem

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