Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Schweiß und Alkohol strömt aus dem Wagen. Er widert mich an. Die Brust meiner Mutter wogt. Sie hat Angst, sie ist aufgeregt, und sie ist betrunken. Sie feuert weiter ihre giftigen Fragen ab und füllt die Luft mit ihrer dummen Wut.
Obwohl der Himmel einzustürzen scheint, fühle ich mich ruhig. Wirklich. Selbst als sie die Tür zuschlägt, mich an den Armen packt und von Eliza wegzerrt. Mir fällt auf, dass sie ihr Baumwollkleid verkehrt herum anhat und wie hässlich und alt sie mit verschmiertem Make-up aussieht.
Sie will mich zum Wagen ziehen und kreischt immer weiter.
«Du kommst mit nach Hause! Du hast hier nichts verloren! Los, komm! Steig ein!»
Mit einer Leichtigkeit, die mich selbst überrascht, entziehe ich mich ihrem Griff. Meine Schultern sind gestrafft. Ich trete einen Schritt zurück und spüre, wie sich das Gleichgewicht zwischen uns verschiebt. Ich wende die Augen ab. Ich schäme mich so. Nicht nur weil sie betrunken und barfuß ist und ich sie mit einem fetten alten Schwein erwischt habe, während mein Dad zu Hause sitzt, sondern weil sich all das vor Eliza Wishart abspielt. Sie hat alles mit angesehen. Am liebsten würde ich diese Szene mit einem Tuch verhüllen, einen Vorhang davorziehen. Und unser Auto in den Fluss schieben.
«Nein», sage ich fest.
«Was hast du gesagt?»
«Ich habe nein gesagt.»
«Wie kannst du es wagen! So hast du nicht mit mir zu reden, Charles Bucktin. Steig sofort ein! Ich bringe dich nach Hause. Du hast hier nichts verloren.»
«Genauso wenig wie
du
. Das hier …», ich deute auf den Rücksitz, «das hier bedeutet, dass ich dir nicht mehr gehorchen muss.»
Ich mache einen Schritt auf sie zu. Ich habe keine Angst vor ihr.
«Wie bitte? O doch, das musst du, junger Mann! Und jetzt steig ein. Ich sage es nicht noch einmal.»
«Nein!
Du
hast dieses Loch gegraben, und
du
füllst es wieder auf. Ich komme nicht mit.»
Sie ist hilflos. Diesen Kampf kann sie nicht gewinnen. Sie kann überhaupt nichts mehr gewinnen. Sie sieht fies und reizlos aus. Leichenblass vor dem gesprenkelten Grau der Papierborkenbäume. Ich hasse sie. In diesem Moment hasse ich sie wie die Pest, aber sie tut mir auch leid. Sie sieht aus wie ein Kind: verängstigt, verloren und unglücklich. Der Eindruck verstärkt sich noch, als sie die Mundwinkel verzieht und mit verzerrtem Gesicht zu weinen beginnt. Ihr Fall kommt ebenso plötzlich wie ihr Aufstieg.
«Du verstehst das nicht», schluchzt sie. «Dein Vater liebt mich nicht. Das hat er nie. Du hast überhaupt keine Ahnung. Gar nichts weißt du.»
Da hat sie allerdings recht. Ich verstehe nicht das Geringste von der Welt: nichts von den Menschen und warum sie tun, was sie tun. Und je mehr ich herausfinde, je mehr ich entdecke und weiß, desto weniger verstehe ich. Meine Mutter schüttelt schniefend den Kopf. Ihre Arme hängen schlaff herab. Der Mann im Wagen rührt sich nicht. Er sitzt einfach nur da. Das alles ist so schrecklich und schmutzig.
Ich muss hier weg.
«Fahr nach Hause», sage ich zu ihr und fühle mich stark dabei. Ich klinge wie Jasper Jones. Ein Schauer jagt mir über den Rücken. «Fahr einfach nach Hause.»
Ich drehe mich um und nehme Elizas Hand, verschränke meine Finger fest mit ihren und drücke sie. In einer einzigen Nacht wurde ich von beiden, meiner Mutter und meinem Vater, betrogen. Ich betrachte meine Mutter von Kopf bis Fuß und lasse sie zitternd und mit hängenden Schultern stehen. Sie ruft mir nach, doch in ihrer Stimme ist kein Gift mehr. Sie enthält gar nichts mehr. Wir lassen sie hinter uns zurück.
Ich sage kein Wort, als wir weitergehen. Hinter uns hören wir den Wagen stotternd anspringen und sich vom Tatort entfernen. Meine Mutter und ihr Liebhaber. Ich frage mich, ob sie nach Hause fährt, um es meinem Vater zu beichten. Wahrscheinlich nicht.
Anscheinend drücke ich Elizas Hand sehr fest, denn sie schüttelt sie ein wenig.
«Alles in Ordnung, Charlie?»
Ich seufze und kratze mich mit der freien Hand am Kopf.
«Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich glaube schon. Vielleicht. Das ist alles viel zu verrückt, um überhaupt irgendwas zu fühlen.»
Sie nickt.
«Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Das war wirklich …
seltsam
. Mit deiner
Mutter
. Es ist … ich hätte nie gedacht, dass sie … Es tut mir leid, Charlie», sagt Eliza leise.
Und das beruhigt mich. Es ist, als könne sie mit einer Entschuldigung alles vergolden, auch wenn sie nicht die geringste Schuld trifft.
Ich kicke
Weitere Kostenlose Bücher