Wer hat Angst vor Jasper Jones?
drinnen?»
«Ja.»
«Er hat sie ins
Wasser
geworfen?»
«Wir beide haben es getan. Ich war auch hier. Er hat mich noch in der gleichen Nacht hierhergebracht. In der Nacht, als Laura … Es tut mir so leid.»
«Du warst in der gleichen Nacht hier? Du hast es
gewusst
, Charlie? Und du hast das getan?» Sie zeigt auf den kleinen Stausee. Ich nicke.
«Jasper ist zu mir ans Fenster gekommen, nachdem er von hier abgehauen ist. Ich habe vorher nie ein Wort mit ihm gewechselt. Er hat gesagt, er brauche meine Hilfe. Ich hatte keine Ahnung, ehrlich. Ich bin einfach mit ihm gegangen. Und dann habe ich Laura gesehen. Genau wie du.»
«Du hast es
gewusst
? Die ganze Zeit über?»
Ich nicke wieder. Ich fühle mich wie ein Stück Dreck, doch das Unbehagen verändert sich.
«Ich habe sie dort oben gesehen. Es war grauenhaft. Das Schrecklichste, was ich je im Leben gesehen habe. Jasper wusste nicht, was er tun sollte. Er hat nicht einen Augenblick geglaubt, dass sie es selbst getan hat. Er war überzeugt, dass es jemand anderes gewesen ist. Wegen ihrem Gesicht und weil ihr Kleid zerrissen war und sie Kratzer hatte und keine Schuhe an den Füßen. Außerdem hätte er nie gedacht, dass sie es schaffen würde, dort raufzuklettern und an das Seil zu kommen, oder dass sie überhaupt allein hierherfinden würde. Was weiß ich. Es kommt mir jetzt alles so
dumm
vor. Aber wir haben wirklich geglaubt, dass jemand sie hergebracht und ihr das angetan hat, weißt du. Jasper hatte Angst, weil das hier
sein
Platz ist, und wenn man sie in dem Zustand hier gefunden hätte, hätten sie behauptet, dass er es gewesen war. Sie hätten ihn, ohne zu fackeln, eingesperrt. Also beschloss er, sie zu verstecken. Damit wir genug Zeit haben, um rauszufinden, was passiert ist. Also ist er hochgeklettert und hat sie abgeschnitten. Wir haben sie an einen Stein gebunden und …»
Ich schüttele den Kopf. Eliza schweigt.
«Bitte hass mich nicht», sage ich leise. Ich knete meine Hände, als wolle ich sie aus den Handgelenken herausdrehen.
«Warum hast du mir nichts davon erzählt? Das tut wirklich weh, Charlie.»
Ich hebe die Hände.
«Das ging nicht. Obwohl ich es gern getan hätte, ehrlich. Aber ich habe es Jasper versprochen. Und ich wusste nicht, was du wusstest. Ich wusste nicht, wie du reagierst, wenn ich es dir sage. Wenn du mir schon früher erzählt hättest …» Ich verstumme.
Wieder kehrt Stille ein. Ich zupfe am Gras und schaue nicht auf. Eliza bleibt gelassen und ruhig. Ich bin so müde.
«Warum hat Jasper aufgehört, sich mit meiner Schwester zu treffen? Hat er sie nicht mehr geliebt?»
«Nein. Nein, das war es nicht. Er hat sie immer noch geliebt. Sehr sogar. Jasper war unten im Süden und hat Pfirsiche gepflückt. Er wollte ein bisschen Geld verdienen fürs Abhauen, genug für den Anfang. Das hat er mir erzählt. In der Nacht ist er mit allem, was er gespart hatte, zurückgekommen. Er ist direkt zu eurem Haus gegangen, aber Laura war nicht in ihrem Zimmer», erzähle ich ihr.
«Und dann ist er hierhergekommen. Aber zu spät.»
Ich nicke.
Pech und Zufall. Es erschien mir einfach nicht fair. Laura Wishart hatte nichts Unrechtes getan. Sie hatte nichts getan, um das zu verdienen. Und die beiden, die sie am meisten geliebt haben, empfinden nun das größte Leid und verspüren am meisten Schuld für etwas, das sie gar nicht wissen konnten. Während sich das Ungeheuer, der, der das Feuer an die Lunte gelegt hat, im Mitleid der ganzen Stadt suhlt. Das ist einfach nicht richtig.
«Warum hast du das Wort in den Baum geritzt?», frage ich Eliza.
«Weil es meine Schuld ist, Charlie.»
«Das ist es nicht.»
«Doch. Ich hätte sie aufhalten können. Ich hätte den Mund aufmachen müssen, hätte aufspringen und ihr sagen müssen, dass sie runterkommen soll. Stattdessen habe ich gar nichts getan. Ich habe bloß dagesessen und zugesehen, wie es passiert ist, weil ich Angst hatte. Ich habe sie umgebracht, Charlie. Es ist so, als würde man vom Ufer aus zusehen, wie jemand ertrinkt, und nicht rausschwimmen, um zu helfen. Das habe ich getan. Es ist meine Schuld.»
«Ist es nicht.»
«Ist es
doch
. Du warst nicht hier. Ich hatte so viel Zeit, etwas zu sagen, und ich hab nichts getan. Ich habe einfach nur dagesessen. Und dann ist es passiert. Und sie war tot. Einfach so.»
«Aber du wusstest doch gar nicht, was passieren wird. Du wusstest nicht, dass sie so etwas tun würde. Das konntest du gar nicht wissen.»
«Das kann sein. Aber es tut
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